Nur Verdachtsfälle: Zahlen zu Todesfällen im Zusammenhang mit Impfungen irreführend
26.4.2021, 14:21 (CEST)
Seit dem Start der Impfkampagne am 27. Dezember 2020 haben mehr als 19 Millionen Menschen in Deutschland eine erste Impfung gegen das Coronavirus erhalten (Stand 27. April). Ein Facebook-Beitrag erweckt nun den Eindruck, dass es im Zuge der Impfkampagne zu überdurchschnittlich vielen Todesfällen gekommen sei. Dazu werden auf einem Sharepic zwei Zahlen aus verschiedenen Statistiken des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) gegenübergestellt: «Vom 01.01.2000-31.12.2020 (21 Jahre) starben in Deutschland 206 Menschen im Zusammenhang mit einer Impfung. Vom 01.01.2021-28.02.2021 (8 Wochen) starben in Deutschland 330 Menschen im Zusammenhang mit einer Impfung.» (hier archiviert)
BEWERTUNG: Der Vergleich der Zahlen ist irreführend. Die an das PEI gemeldeten Todesfälle stehen zwar in einem zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung, haben aber fast immer andere Ursachen. Das PEI weist ausdrücklich auf die begrenzte Aussagekraft der Meldungen hin. So starben mindestens 78 der Verdachtsfälle im Zusammenhang mit einer Covid-19-Impfung an den Folgen einer Corona-Infektion. Zwischen Anfang 2000 und Ende 2020 wurden zudem 456 Verdachtsfälle registriert.
FAKTEN: Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) überwacht und bewertet die Sicherheit von Impfstoffen. Dazu sammelt und veröffentlicht die Bundesbehörde regelmäßig Meldungen zu Nebenwirkungen und Komplikationen aller Art im Zusammenhang mit Impfungen.
In seinem Sicherheitsbericht zu den neuen Corona-Impfstoffen vom 4. März führt das PEI 330 gemeldete Todesfälle auf, die auch der Facebook-Beitrag nennt. In dem Bericht weist das Institut allerdings darauf hin, dass die Sterbefälle zwar im zeitlichen Zusammenhang mit einer Covid-19-Impfung aufgetreten sind, die Todesursache war aber in den meisten Fällen mit Sicherheit eine andere.
Von 78 der Betroffenen weiß man beispielsweise, dass sie an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben sind. Vermutlich haben sie sich kurz vor oder nach der ersten Impfung angesteckt, wenn noch kein vollständiger Immunschutz hergestellt ist. Weitere 95 litten an einer anderen schweren Erkrankung.
Die Hälfte der im Zusammenhang mit einer Covid-19-Impfung gestorbenen Personen war laut dem aktuellen Sicherheitsbericht 85 Jahre oder älter. In der Corona-Pandemie werden besonders viele ältere Menschen oder Menschen mit schweren Vorerkrankungen und einem erhöhten Sterberisiko geimpft. Damit folgt die deutsche Impfstrategie den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission.
Auch die enorm hohe Zahl an durchgeführten Impfungen innerhalb einer vergleichsweise kurzen Zeit verzerrt die Statistik. Derzeit finde «eine außergewöhnlich umfangreiche Impfkampagne statt», sagt die Sprecherin des PEI, Susanne Stöcker auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur. «Je mehr Impfungen, desto mehr Meldungen, das ist normal und sogar zu erwarten.»
Hinzu komme ein anderes Meldeverhalten bei neuen Impfstoffen. «Neue Impfstoffe führen immer zu einer erhöhten Melderate, einfach weil die Aufmerksamkeit sowohl der Geimpften wie auch der impfenden Ärzte und Ärztinnen stark sensibilisiert ist. Das war so bei der HPV-Impfung, das war auch so bei der Impfung mit dem inaktivierten Zoster-Impfstoff», erklärt Stöcker.
Über ein Online-Meldeformular kann jeder Betroffene oder Angehörige beobachtete Nebenwirkungen nach einer Covid-19-Impfung an das PEI melden. Hinzu kommen Meldungen der Gesundheitsämter, Ärztinnen und Ärzte, der Arzneimittelkommissionen der Apotheken und der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), die alle in die «Datenbank mit Verdachtsfällen von Impfkomplikationen» (DB-UAW) einfließen. Diese wird laut PEI «üblicherweise alle paar Monate aktualisiert».
Zum Stand 31. Dezember 2020 werden dort 456 Todesfälle im Zusammenhang mit einer Impfung aufgeführt, die seit dem 1. Januar 2000 an das PEI übermittelt wurden. Davon waren 206 im Erwachsenenalter. Diese Zahl kommt auch in dem Facebook-Posting vor – allerdings ohne den Hinweis, dass es sich lediglich um Verdachtsfälle handelt, die keine Rückschlüsse auf einen ursächlichen Zusammenhang zulassen, wie das PEI betont.
Schwere Impfkomplikationen mit Todesfolge sind extrem selten - auch bei Covid-19-Impfstoffen. «Dass die Impfstoffe sicher sind, wurde ausführlich auf Grundlage der Ergebnisse der klinischen Prüfungen bewertet», sagt Stöcker. Die möglichen Komplikationen, die jetzt mit Hilfe von Verdachtsmeldungen aufgedeckt werden, seien «so selten, dass sie in keiner klinischen Prüfung hätten nachgewiesen werden können».
Der Facebook-Beitrag blendet diese Diskussionen und Zusammenhänge vollkommen aus. So entsteht der Eindruck, die neuen Impfstoffe seien gefährlicher oder gar tödlicher als bisher eingesetzte Präparate gegen andere Erkrankungen.
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Links:
Beitrag: https://www.facebook.com/heute.schon.verarscht.worden/posts/1868527856642488 (archiviert: https://archive.ph/V3l5H)
Impfdashboard: https://impfdashboard.de/ (archiviert am 26.4.2021: https://archive.ph/yPVsE)
PEI-Sicherheitsbericht vom 4.3.2021: https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/dossiers/sicherheitsberichte/sicherheitsbericht-27-12-bis-26-02-21.pdf?__blob=publicationFile&v=9 (archiviert: http://dpaq.de/Lkcl7)
PEI-Sicherheitsbericht vom 9.4.2021: https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/dossiers/sicherheitsberichte/sicherheitsbericht-27-12-bis-02-04-21.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (archiviert: http://dpaq.de/bmuon)
Stiko-Empfehlungen: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/02_21.pdf?__blob=publicationFile (archiviert: http://dpaq.de/QlPSi)
Online-Meldeformular: https://nebenwirkungen.bund.de/nw/DE/home/home_node.html
Datenbank mit Verdachtsfällen von Impfkomplikationen: https://www.pei.de/DE/arzneimittelsicherheit/pharmakovigilanz/uaw-datenbank/uaw-datenbank-node.html (archiviert: https://archive.ph/32Fu6)
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