Europäische Impfpässe schon seit Jahren geplant - lange vor Corona

8.4.2021, 12:27 (CEST)

In sozialen Medien wird über einen Zusammenhang zwischen einer fast drei Jahre alten Mitteilung der EU-Kommission und aktuellen europäischen Plänen für einen Impfpass spekuliert. In einem derzeit kursierenden Blogartikel heißt es: «Zufall? Europäische Pläne für "Impfpässe" gab es schon 20 Monate vor der Pandemie.» Außerdem wird in dem Beitrag nahegelegt, die Pharmaindustrie würde maßgeblich an solchen Impfpässen verdienen können (hier archiviert).

BEWERTUNG: Pläne für einen europäischen Impfpass gehen sogar noch weiter zurück: EU-Behörden empfahlen ihn bereits 2012. Auch in Deutschland ist seit mehr als sechs Jahren geplant, einen digitalen Impfausweis einzuführen. An Impfungen verdient die Pharmaindustrie wesentlich weniger als an Medikamenten.

FAKTEN: In dem Beitrag wird auf ein am 26. April 2018 veröffentlichtes Dokument der EU-Kommission verwiesen. Es geht um Vorschläge für eine engere Zusammenarbeit von EU-Mitgliedsstaaten bei der Bekämpfung von Krankheiten, gegen die es Impfungen gibt. Zu den Vorschlägen gehörte unter anderem ein gemeinsamer EU-Impfpass. Anlass für das Papier war etwa, dass lange zurückgedrängte Infektionskrankheiten wie die Masern in der EU wieder zugenommen hatten. Darüber berichtet hat zum Beispiel das «Ärzteblatt».

Die Debatte über einen europäischen Impfpass reicht aber noch viel weiter zurück: Bereits im Oktober 2012 empfahl das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) die Entwicklung von Standards für einen gemeinsamen europäischen Impfpass. Es geht hier also um langfristige Strategien - und nicht um eine direkte Folge der Corona-Pandemie.

Zurzeit plant die EU-Kommission, bis Juni einen Impfausweis zu entwickeln, der Reisen und damit eine Sommersaison für den Tourismus ermöglicht. Was genau für Menschen gelten soll, die gegen Covid-19 geimpft sind und einen Impfausweis haben, ist in den EU-Staaten aber noch nicht Konsens. Es geht hier zunächst nur um die Corona-Impfung.

Das Projekt könnte aber später weiterverfolgt werden - ähnlich wie es seit Jahren - unabhängig von der aktuellen Pandemie - geplant war. Zu Richtlinien für das gemeinsame Impfzertifikat heißt es: «Die Richtlinien beziehen sich hauptsächlich auf die COVID-19 Impfung, können aber in der Zukunft als Basis genutzt werden, um andere Impfungen oder Vorbeugungen durchzusetzen.»

Auch in Deutschland wird schon seit Jahren unabhängig von der Corona-Pandemie über die Einführung eines digitalen Impfpasses als Teil der elektronischen Krankenakte diskutiert. Derzeit ist geplant, ihn Anfang 2022 einzuführen. Dies geht auf ein 2015 verabschiedetes E-Health-Gesetz zurück.

Die elektronische Patientenakte wurde zudem mehrfach verschoben, etwa von 2019 auf 2021. Von den aktuellen Entwicklungen um das Coronavirus ist die Geschichte der elektronischen Patientenakte und damit des digitalen Impfpasses also nicht beeinflusst.

Im Beitrag wird außerdem behauptet, die «multinationale Pharmaindustrie» wäre der «Hauptnutznießer» von Impfpässen. Das Robert-Koch-Institut weist dagegen darauf hin, dass Pharmafirmen mit Arzneimitteln sehr viel mehr verdienen könnten als mit Impfstoffen. «Aus Sicht der Pharmaindustrie ist das Geschäft mit Impfstoffen auch deshalb weniger attraktiv, weil die Herstellung von Impfstoffen weitaus komplexer und teurer ist als die von Arzneimitteln», so das RKI.

Die gesetzlichen Krankenkassen gaben im Jahr 2019 insgesamt etwas mehr als 252 Milliarden Euro aus. Davon entfielen etwa 41 Milliarden Euro auf Arzneimittel und etwas mehr als 1,5 Milliarden Euro auf Impfstoffe.

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Links:

Dokument der EU-Kommission (26. April 2018): https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2018/EN/COM-2018-244-F1-EN-MAIN-PART-1.PDF (archiviert: http://dpaq.de/LCwx2)

Bericht des «Ärzteblatt» über die Pläne der EU-Kommission (26. April 2018): https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/94787/EU-Kommission-will-sich-fuer-hoehere-Impfquoten-in-Europa-einsetzen (archiviert: https://archive.ph/U4Ol1)

Präsentation des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) auf einer Konferenz über Impfungen für Kinder vom 16. bis 17. Oktober 2012: https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/vaccination/docs/ev_20121016_co14_en.pdf (archiviert: http://dpaq.de/OWcVT)

dpa-Bericht über den geplanten EU-Impfpass (17. März 2021): https://www.sueddeutsche.de/leben/tourismus-wie-ein-eu-impfpass-den-sommerurlaub-ermoeglichen-koennte-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210317-99-863161 (archiviert: https://archive.ph/l8ZGE)

EU-Richtlinien für das gemeinsame Impfzertifikat: https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/ehealth/docs/vaccination-proof_interoperability-guidelines_en.pdf (archiviert: http://dpaq.de/SGOFE)

dpa-Bericht über den geplanten europäischen Impfpass, veröffentlicht von «Wirtschaftswoche.de»: https://www.wiwo.de/politik/europa/fragen-und-antworten-freifahrtschein-in-die-ferien-das-soll-der-eu-impfpass-bringen/26956320.html
(archiviert: http://dpaq.de/iHLPn)

dpa-Meldung über Entwicklung des digitalen Impfpass in Deutschland als Teil der E-Patientenakte, veröffentlicht von der AOK (22. Januar 2020): https://aok-bv.de/presse/dpa-ticker/index_23120.html (archiviert: https://archive.ph/9RSoO)

dpa-Bericht über die Verabschiedung des E-Health-Gesetz (Dezember 2015): https://www.fnp.de/politik/bundestag-gibt-gruenes-licht-digitale-patientendaten-10782949.html (archiviert: https://archive.ph/Qw0mf)

Information über Verschiebung der elektronischen Patientenakte von 2019 auf 2021): https://www.stiftung-gesundheitswissen.de/presse/das-aendert-sich-2019-im-gesundheitsbereich#:~:text=H%C3%B6here%20Bemessungsgrenzen%20bei%20der%20gesetzlichen,(2018%3A%2053.100)%20Euro. (archiviert: https://archive.ph/1PGFi#selection-901.0-905.478)

Fragen und Antworten des RKI zu Impfungen und der Pharmaindustrie: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Bedeutung/Schutzimpfungen_20_Einwaende.html;jsessionid=D6FA1A14503871ACDF6822121A8F6646.internet111#doc2378400bodyText20 (archiviert: https://archive.vn/dDNSe#selection-2887.0-2887.192)

Gesamtausgaben und Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2019: https://www.vdek.com/presse/daten/d_ausgaben_arzneimittel.html#:~:text=41%2C0%20Mrd.,halb%20so%20gro%C3%9F%20wie%20dieser. (archiviert: http://dpaq.de/7B6WA)

Ausgaben für Impfstoffe der Gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2019 - direkter PDF-Downloadlink: https://www.abda.de/fileadmin/user_upload/assets/ZDF/ZDF_2020/ZDF_20_63_Impfstoffe.pdf (archiviert: https://archive.ph/nGovw)

In sozialen Medien kursierender Blogbeitrag: https://uncutnews.ch/zufall-europaeische-plaene-fuer-impfpaesse-gab-es-schon-20-monate-vor-der-pandemie/ (archiviert: https://archive.ph/quvyn)

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