EU erlaubt keine Genversuche an Menschen

23.03.2021, 18:29 (CET)

In Posts auf Facebook (hier archiviert) in Luxemburg und Deutschland wird auf Blogseiten verlinkt, auf denen behauptet wird: «EU erlaubt Genversuche an Menschen.»

BEWERTUNG: Die Behauptung ist falsch. Die EU hat keine «Genversuche an Menschen» erlaubt.

FAKTEN: Auf der Blogseite heißt es, die EU habe am 17. Juli 2020 das Verbot, Experimente mit Gentechnisch Veränderten Organismen (GVO) an Menschen durchzuführen, gekippt. Dies bedeute «im Klartext, dass Arzneimittel (darunter fallen auch Impfungen) ohne vorherige Umweltverträglichkeitsprüfung in Verkehr gebracht werden dürfen».

Das stimmt nicht. Tatsächlich hat die EU eine auf den 15. Juli 2020 datierte Verordnung mit der Nummer 2020/1043 am 17. Juli 2020 veröffentlicht. In dieser Verordnung geht es allerdings gar nicht darum, Arzneimittel ohne vorherige Umweltverträglichkeitsprüfung in Verkehr bringen zu dürfen. Es geht auch nicht um Experimente mit genetisch veränderten Organismen an Menschen.

In der Verordnung geht es um die Voraussetzungen für klinische Tests von Arzneimitteln, die genetisch veränderte Organismen enthalten, zur Behandlung der Coronavirus-Erkrankung. Ziel der Verordnung zum Zeitpunkt der Entscheidung war es unter anderem, die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Covid-19 zu beschleunigen. Die Verordnung enthält, wie auch in einer Mitteilung des Ministerrates erläutert wird, eine befristete Ausnahmeregelung, damit nicht schon vor den klinischen Tests eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden muss. In der Verordnung heißt es, das übliche Verfahren könne «einen erheblichen Zeitaufwand erfordern».

Manche der (im Sommer 2020) in Entwicklung befindlichen Impfstoffe enthielten attenuierte (abgeschwächte) Viren oder Lebendvirusvektoren, die unter die Definition von GVO fallen können, heißt es in der Verordnung. 

Mit diesen attenuierten Viren oder Lebensvirusvektoren sind übrigens nicht die Impfstoffe von Biontech/Pfizer oder Moderna gemeint, weil diese synthetisch hergestellten Impfstoffe zwar mit der Boten-RNA (mRNA) arbeiten, aber keine gentechnisch veränderte Organismen enthalten. «Bei den mRNA-Impfstoffen handelt es sich tatsächlich um genetische Impfstoffe, nicht jedoch um gentechnisch veränderte Organismen. Da wurde nichts verändert, nur synthetisiert», sagte eine Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts der Deutschen Presse-Agentur.

Nicht mehr krankmachende Erreger werden laut Bundesforschungsministerium schon seit längerem für Lebendimpfstoffe gegen Masern, Mumps und Röteln verwendet. Vektorimpfstoffe bestehen aus für den Menschen harmlosen Viren (Vektoren) und werden beispielsweise gegen Ebola eingesetzt. Das veränderte Vektorvirus enthält den genetischen Code des Spike-Proteins. Daher handelt es sich bei Vektorimpfstoffen um GVO.

Die EU-Verordnung ist auf die Erforschung von Medikamenten gegen Covid-19 beschränkt und gilt nur solange die Pandemie andauert. Die Umweltverträglichkeitsprüfung findet gemäß der Verordnung während der Pandemie bei Corona-Medikamenten erst nach den klinischen Tests statt - und zwar während der sehr genauen Prüfungen vor der Marktzulassung. Die EU hat also weder Experimente an Menschen mit gentechnisch veränderten Organismen noch eine Abschaffung der Umweltverträglichkeitsprüfung beschlossen.

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Links:

Facebook-Post: https://www.facebook.com/emm.ima.37/posts/373578490645600 (archiviert: https://archive.ph/hyNRX)

Blogpost: https://g0tt-0-g0tt.blogspot.com/2021/03/eu-erlaubt-genversuche-menschen.html?fbclid=IwAR2SmDW8hBev5gA2aiCBfsSca3AvC2hfDiF9d8t-C06lWBqbnzQuDZiy0L0 (archiviert: https://archive.ph/B7i1t)

EU-Verordnung: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32020R1043&from=DE (archiviert: http://dpaq.de/SzHgb)

Mitteilung des Ministerrates: https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2020/07/14/vaccine-against-covid-19-council-adopts-measures-to-facilitate-swift-development/ (archiviert: http://dpaq.de/GQj3R)

Bundesforschungsministerium zu Impfstoffen: https://www.bmbf.de/de/das-sollten-sie-ueber-impfstoffe-wissen-12724.html (archiviert: https://archive.ph/D0gLb)

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