Windräder sorgen weder für Flauten noch für Dürren

24.03.2021, 13:52 (CET)

Geht dem Wind die Puste aus, wenn zu viele Windräder gebaut werden? Diesen Zusammenhang jedenfalls stellt ein Blog-Beitrag her (hier archiviert), der derzeit in den sozialen Medien die Runde macht (hier archiviert). Zitiert wird darin eine Historikerin, die dem Ausbleiben sogenannter «Westwindwetterlagen» nachgespürt und herausgefunden haben will, dass die hohe Windraddichte in Deutschland in der unteren Atmosphäre für Probleme beim Feuchtigkeitstransport sorge. Der behauptete Effekt: Windgeschwindigkeit und Regenmenge in Deutschland würden abnehmen. Der offenkundige «Zusammenhang zwischen der exponentiell betriebenen Windenergie-Abschöpfung und der dadurch provozierten Windflaute» werde europaweit allerdings tabuisiert.

BEWERTUNG: Die durchschnittliche Windgeschwindigkeit hat sich in den vergangenen Jahren im Wesentlichen aus atmosphärischen und klimatischen Gründen verändert. Studien werden hier verkürzt und teils auch fehlerhaft wiedergegeben.

FAKTEN: Seit Anfang der 1990er Jahren wurden in Deutschland mehrere Zehntausend Windkraftanlagen gebaut. Windenergie macht damit heute etwa die Hälfte der ins Stromnetz gespeisten erneuerbaren Energien aus. Wissenschaftler schließen jedoch aus, dass sich dies deutlich auf Windgeschwindigkeiten auswirkt. Warum?

Zwischen 1990 und 2010 beobachteten Klima- und Wetterforscher in Deutschland ein Abnehmen der Windgeschwindigkeit, auch Windpotenzial genannt; seit 2010 ist hingegen ein Anstieg zu verzeichnen. Frank Kreienkamp vom Deutschen Wetterdienst (DWD) weist im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) darauf hin, dass der über die Jahrzehnte leicht abfallende und nun wieder ansteigende Trend sehr schwach sei. Die Gründe für das Absinken des Windpotenzials seien vielfältig, so Kreienkamp. «Hinzu kommt, dass sich Windsysteme über längere Zeiträume betrachtet stets verändern, auf- und abschwingen. Das bewirkte wiederkehrend leichte Geschwindigkeitsveränderungen - auch schon zu Zeiten weit vor der Nutzung von Windturbinen.»

Im Text mit der Behauptung heißt es, Studien wiesen insbesondere in Regionen wie Schleswig-Holstein ein Abnehmen der Windgeschwindigkeit nach, wo besonders viele Anlagen liefen. Die angeführte Untersuchung der Deutschen WindGuard erwähnt allerdings an keiner Stelle, dass das Windpotenzial in Deutschland abnimmt. Vielmehr stellt sie dar, dass die Zahl der Volllaststunden mit maximaler «Windausbeute» bei den Anlagen rückläufig seien, etwa dadurch, dass sich die Räder gegenseitig beeinflussten.

Dass Windkraftanlagen einen bedeutsamen Einfluss auf Windgeschwindigkeiten, Temperatur und Niederschlagsmengen nehmen, schließt Frank Kreienkamp vom DWD aus: «Eine Windkraftanlage ist ein Hindernis, das den Wind bremst und lokal auf sehr geringem Niveau zu einem Temperaturanstieg führen kann.» Der Beleg dafür wird im Blog selbst angeführt: 2018 ermittelten zwei Forscher der US-Universität Harvard, dass die Erzeugung des gesamten Strombedarfs der USA mit Windkraft die Oberflächentemperatur des amerikanischen Kontinents um 0,24 Grad Celsius erhöhen würde.

Zur Einordnung: In den USA decken derzeit knapp 90 000 Windräder sieben Prozent des amerikanischen Strombedarfs; in Deutschland produzieren gut 30 000 Windräder etwa 17 Prozent des Strombedarfs. Die US-Forscher resümieren darum: «Die Gesamtauswirkungen des Windes auf die Umwelt sind sicherlich geringer als die fossiler Energie.»

Unbewiesen ist zudem der im Blog dargelegte Zusammenhang, eine Abnahme vor allem der Westwinde führe zwangsläufig zu einer Abnahme der Regenmenge und damit zu Dürren. «Großskaliger Niederschlag wird durch großräumige Dynamik in der sogenannten freien Atmosphäre erzeugt, also in Höhen über ein bis zwei Kilometer. Dem können Windturbinen wenig anhaben», erklärt Axel Kleidon vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena gegenüber der dpa.

Mögliche Gründe für den veränderten Niederschlag seien vielmehr der Klimawandel, aber auch die veränderte Landnutzung in Deutschland. «Ein abgemähter Acker oder zuasphaltierter Parkplatz im Juli verdunsten weniger als ein grüner Laubwald. Und weniger Verdunstung in der Atmosphäre beeinflusst früher oder später auch die Niederschlagsereignisse», so Kleidon. Mit dem Wind an der Oberfläche aber habe der Niederschlag recht wenig zu tun. 

Kurzum: Die Bremswirkung von Windkraftanlagen ist verschwindend gering gegenüber den Antriebskräften des Wetters. Dass Windkraftanlagen letztlich Dürren bewirken, entbehrt dem Beweis.

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Links:

Blog-Beitrag: https://eifelon.de/umland/windsterben-durch-windkraft.html (archiviert: https://archive.is/ZKlGK)

Artikel: https://paz.de/artikel/wenn-klimaschutz-zum-klimakiller-wird-a282.html (archiviert: https://archive.ph/qwX1s)

Facebook-Beitrag: https://www.facebook.com/groups/1526991047537857/permalink/2925955577641390/ (archiviert: https://archive.is/U2MKW)

DWD über Abnahme der Windgeschwindigkeiten: https://www.dwd.de/DE/forschung/atmosphaerenbeob/lindenbergersaeule/rao_download/aktuell_2017_04.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (archiviert: http://dpaq.de/Bv4kV)

UBA über Windkraftanlagen: https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/erneuerbare-energien/windenergie#strom (archiviert: http://dpaq.de/EusNF)

BMWi über Windkraft als Energieträger: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Dossier/erneuerbare-energien.html (archiviert: http://dpaq.de/3qAUz)

Untersuchung der Deutschen WindGuard: https://www.lee-nrw.de/data/documents/2020/11/23/532-5fbb61e5e6bb2.pdf (archiviert: http://dpaq.de/nuENl)

Harvard-Studie: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S254243511830446X (archiviert: https://perma.cc/X9AJ-DKCV)

Daten zur Stromerzeugung in den USA: https://www.gtai.de/gtai-de/trade/branchen/branche-kompakt/usa/branche-kompakt-usa-bauen-windenergie-rasant-aus-22994 (archiviert: https://archive.is/1uLyV)

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