Anteil der Corona-Intensivpatienten mit Migrationshintergrund wird nicht erfasst

05.03.2021, 16:04 (CET)

Im Zusammenhang mit der Behandlung von Covid-19-Patienten werden jede Menge Daten erhoben und Statistiken geführt. So lassen sich Aussagen beispielsweise dazu treffen, welche Altersgruppen nach einer Infektion mit dem Coronavirus vergleichsweise häufig auf einer Intensivstation behandelt werden müssen. Derzeit kursieren etliche Behauptungen, es gäbe auch Zahlen zum Anteil der Corona-Intensivpatienten mit Migrationshintergrund. Die Prozentzahl schwankt dabei. Besonders oft werden Anteile von 50 oder sogar 90 Prozent genannt.

BEWERTUNG: Zwar gibt es vereinzelte Berichte, Menschen mit Migrationshintergrund seien stärker von Covid-19 betroffen. Zum tatsächlichen Anteil der Corona-Intensivpatienten mit Migrationshintergrund werden aber keinerlei Daten erhoben. Eine bundesweit gültige Zahl kann weder von Gesundheitsämtern noch vom Robert Koch-Institut genannt werden.

FAKTEN: Im Infektionsschutzgesetz ist klar geregelt, welche Daten bei dem Nachweis einer meldepflichtigen Krankheit erhoben und dann unter anderem dem Robert Koch-Institut übermittelt werden. In § 11 werden zwar Angaben wie Geschlecht, Geburtsmonat und -Jahr sowie Wohn- und Aufenthaltsort genannt - die Staatsangehörigkeit oder Angaben zum Migrationshintergrund jedoch nicht. Auch in den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts zur Meldung von Verdachtsfällen von Covid-19 finden sich keine entsprechenden Meldeinhalte.

Gemeinsam mit der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) betreibt das Robert Koch-Institut das DIVI-Intensivregister. Hier wird nicht nur auf Angaben zum Migrationshintergrund eines Patienten verzichtet. Prof. Dr. med. Christian Karagiannidis, der wissenschaftliche Leiter des Registers, sagte der Deutschen Presse-Agentur (dpa): «Auch ist mir keine andere Datenquelle bekannt, die deutschlandweit Merkmale wie [...] "Migrationshintergrund" erfassen würde. Keine!»

Prof. Dr. med. Uwe Janssens, DIVI-Sprecher der Sektion Ethik fände es falsch, den Anteil der Corona-Intensivpatienten mit Migrationshintergrund zu messen. Bei n-tv sagte er: «Das finde ich nahezu rassistisch, und ich würde auch keinerlei Zahlen diesbezüglich herausgeben.» Die Diskussion befeuere nur die Vermutung, das Virus würde von Migranten nach Deutschland getragen und verbreitet werden. Ähnlich äußerte sich Janssens auch gegenüber der dpa.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) geht davon aus, dass Menschen mit Migrationshintergrund wohl deshalb stärker von der Pandemie betroffen sind, weil sie vergleichsweise häufig prekären Arbeits- und Lebensbedingungen ausgesetzt sind. Studien aus mehreren OECD-Ländern würden zeigen, dass Zugewanderte ein mindestens doppelt so hohes Infektionsrisiko wie im Inland Geborene haben, heißt es in einer Pressemitteilung.

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Links:

Infektionsschutzgesetz: https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/__11.html (archiviert: http://dpaq.de/aLUmS)

RKI- Empfehlungen zur Meldung von Verdachtsfällen: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Empfehlung_Meldung.html (archiviert: https://archive.vn/NELXB)

n-tv-Interview mit Prof. Dr. med. Uwe Janssens: https://www.n-tv.de/panorama/Das-finde-ich-nahezu-rassistisch-article22399820.html (archiviert: http://dpaq.de/FZnve)

OECD-Pressemitteilung: https://www.oecd.org/berlin/presse/die-coronakrise-darf-nicht-zur-integrationskrise-werden.htm (archiviert: http://dpaq.de/WNbCP)

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