Wirksamkeit bei Impfstoffen missverstanden, Zahl zu starken Nebenwirkungen nicht belegt

01.03.2021, 15:13 (CET)

Biontech/Pfizer, Moderna, Astrazeneca: Drei Hersteller haben mit ihren Covid-19-Impfstoffen die hohen Hürden für eine Zulassung in Europa genommen. Trotzdem herrscht teilweise Misstrauen gegenüber dem britisch-schwedischen Hersteller Astrazeneca. Tenor: Es sei ein Impfstoff zweiter Klasse. User in sozialen Netzwerken (hier archiviert) behaupten, das Vakzin habe eine geringe Wirksamkeit und führe bei 40 Prozent der Geimpften zu teils starken Nebenwirkungen.

BEWERTUNG: Angaben zur Wirksamkeit können bei Impfstoffen leicht missverstanden werden. Starke Nebenwirkungen bei 40 Prozent der Geimpften sind nicht belegt.

FAKTEN: Hinter dem Impfstoff AZD1222 stehen der britisch-schwedische Konzern Astrazeneca und die Universität Oxford. Daten aus ersten Studien belegen laut Hersteller eine Wirksamkeit von 70 Prozent und «etwa 60 Prozent» nach Angaben der EU-Arzneimittelbehörde EMA. Neue Studien mit dem Vakzin kamen zum Ergebnis, dass dessen Wirksamkeit bei einem Abstand von 12 oder mehr Wochen zwischen beiden Impfungen auf mehr als 80 Prozent steige, wie der Erlanger Mikrobiologe und Immunologe Christian Bogdan erklärt. Zum Vergleich: die Wirksamkeit der Präparate von Biontech/Pfizer und Moderna liegt bei jeweils mehr als 90 Prozent.

Viele scheinen diese Angaben zur Wirksamkeit aber misszuverstehen. Denn nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts geht es dabei um die Verminderung des «relativen Risikos» bei Geimpften im Vergleich mit Menschen, die nicht gegen Corona geimpft wurden. Eine Wirksamkeit von 60 Prozent bedeute also nicht, dass der Geimpfte nur zu 60 Prozent vor der Krankheit geschützt wäre, «sondern dass 60 Prozent der Fälle verhindert werden, die ohne Impfung auftreten würden». Experten gehen davon aus, dass alle drei Impfstoffe einen Großteil schwerer und potenziell tödlicher Fälle verhindern.

Alle Präparate führten zu «einer deutlichen, aber nichtsdestotrotz normalen Impfreaktion», betonte Bogdan. Die Symptome seien Ausdruck der Immunantwort. Gerade bei jüngeren Menschen fielen Impfreaktionen deutlicher aus, da sie im Gegensatz zu Älteren das aktivere Immunsystem hätten.

Der derzeitige Fokus auf Astrazeneca-Nebenwirkungen könnte also auch mit den jüngeren, berufstätigen Impflingen zu tun haben. Deren Beschwerden werden eher bekannt, wenn sie sich etwa krank melden. Die anderen Impfstoffe werden derzeit vor allem Senioren verabreicht.

Denn die Ständige Impfkommission (Stiko) hatte - anders als die EU-Arzneimittelbehörde EMA - den Impfstoff vorerst nur für Menschen zwischen 18 und 64 Jahren empfohlen, weil Daten zur Wirkung bei Älteren fehlen. Das Vakzin trifft bei vielen Menschen daher auf Vorbehalte. Mittlerweile haben die Experten jedoch angekündigt, die Empfehlung zu aktualisieren.

«Wir haben nie den Impfstoff kritisiert», sagte der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens. «Wir haben nur kritisiert, dass die Datenlage für die Altersgruppe über 65 nicht gut oder nicht ausreichend war.» Ansonsten sei der Impfstoff «sehr gut» und er werde «jetzt durch hinzukommende neue Daten noch besser in der Einschätzung», betonte Mertens.

Zuletzt hatten sich Beschwerden über Impf-Reaktionen und Krankschreibungen beim Mittel von Astrazeneca gehäuft. Doch handelt es sich dem Paul-Ehrlich-Institut zufolge um «bekannte und (...) vorübergehende unerwünschte Reaktionen». Die EMA beschreibt die häufigsten Nebenwirkungen als leicht bis mittelschwer. Sie gingen innerhalb weniger Tage zurück.

Zum Vergleich: Bei einer Infektion mit Sars-CoV-2 variiert der Krankheitsverlauf in Symptomatik und Schwere. «Es können symptomlose Infektionen bis hin zu schweren Pneumonien mit Lungenversagen und Tod auftreten», heißt es beim Robert Koch-Institut. Daten zeigen, dass bisher etwa 10 Prozent der in Deutschland registrierten Corona-Infizierten ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten.

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Links:

Beitrag: https://www.facebook.com/markusgelau/posts/253508412995667 (archiviert: http://dpaq.de/BpVMz)

EMA zur Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Astrazeneca: https://www.ema.europa.eu/en/documents/overview/covid-19-vaccine-astrazeneca-epar-medicine-overview_de.pdf (archiviert: http://dpaq.de/wuVhI)

Portal «Gesundheitsinformation.de» zu Astrazeneca: https://www.gesundheitsinformation.de/der-impfstoff-astrazeneca-azd1222-astrazeneca-zur-impfung-gegen-corona.html (archiviert: http://dpaq.de/ic45U)

Hersteller von Astrazeneca-Impfstoff zur Phase-3-Studie: https://www.astrazeneca.com/media-centre/press-releases/2021/covid-19-vaccine-astrazeneca-confirms-protection-against-severe-disease-hospitalisation-and-death-in-the-primary-analysis-of-phase-iii-trials.html (archiviert: http://dpaq.de/XIFPe)

Paul-Ehrlich-Institut zu Sicherheit und Wirksamkeit: https://www.pei.de/DE/newsroom/hp-meldungen/2021/210218-sicherheit-wirksamkeit-covid-19-impfstoff-astrazeneca-infomationen-pei.html (archiviert: http://dpaq.de/YJ0f)

Bericht über Zweifel an Astrazeneca mit Stellungnahme Bogdan: https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/gesundheit-sind-zweifel-an-astrazeneca-impfstoff-berechtigt-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210217-99-482796 (https://perma.cc/N2BC-4ALC)

WHO zu Arbeitsausfällen nach Astrazeneca-Gabe: https://apps.who.int/iris/rest/bitstreams/1331814/retrieve

RKI zum Coronavirus: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html (archiviert: http://dpaq.de/TKu6k)

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