Behörden sammeln Verdachtsfälle, keine bestätigten Nebenwirkungen

19.02.2021, 15:03 (CET)

«Tausende Fälle schwerer Nebenwirkungen» von Impfstoffen gegen Covid-19, aufgelistet von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA: Unter anderem auf diese Behauptung stützt sich ein Artikel des russischen Staatssenders RT (hier archiviert). Die EMA habe zu einem bestimmten Stichtag mehr als 40 000 Personen gemeldet, die nach Corona-Impfungen «mit Nebenwirkungen zu kämpfen hatten». Die Rede ist von «behördlich gemeldeten Fällen», die möglicherweise nur «die Spitze eines Eisbergs» seien. Auch Zahlen der zuständigen deutschen Behörde werden von RT angeführt.

BEWERTUNG: Bei den beschriebenen Fällen handelt es sich um Verdachtsmeldungen, die von den Behörden gesammelt werden. Einen ursächlichen Zusammenhang mit Impfungen beschreiben die Behörden nicht. Daher ist die Formulierung «Nebenwirkungen» bezogen auf diese Daten falsch und irreführend.

FAKTEN: Der RT-Artikel bezieht sich auf zwei behördliche Quellen. Eine davon ist die Europäische Arzneimittelagentur EMA, die für die Zulassung von Impfstoffen zuständig ist und auch ein Monitoring, also eine Beobachtung möglicher Nebenwirkungen betreibt. Die EMA sammelt Meldungen von Pharmaunternehmen und von Behörden der einzelnen Staaten. Diese sind zur Meldung verpflichtet und betreiben eigene Systeme zur Erfassung von möglichen Nebenwirkungen.

In den verlinkten Dashboards der EMA zu den Impfstoffen der Firmen Biontech/Pfizer und Moderna werden diese Daten zentral dargestellt. Wichtig ist dabei jedoch der unten auf der Seite stehende Hinweis der Agentur zur Interpretation der Daten. In einem Erklärtext schreibt die EMA ausdrücklich: «Die Angaben auf dieser Website betreffen Verdachtsfälle von Nebenwirkungen, also medizinische Ereignisse, die im Rahmen der Anwendung eines Arzneimittels beobachtet wurden, die aber nicht notwendigerweise mit dem Arzneimittel in Zusammenhang stehen oder von ihm verursacht wurden.»

Dementsprechend lassen sich aus den EMA-Dashboards keine Formulierungen ableiten, die einen kausalen Zusammenhang zwischen Impfung und beobachteten medizinischen Problemen herstellen. So ist etwa die Behauptung «Tausende Fälle schwerer Nebenwirkungen» falsch und irreführend: Es sind lediglich Verdachtsfälle. Gleiches gilt für Aussagen zu angeblichen schweren Nebenwirkungen. Auch hier handelt es sich bislang lediglich um wegen eines zeitlichen Zusammenhangs mögliche schwere Nebenwirkungen.

Hintergrund solcher Meldesysteme, die zum Beispiel auch in Großbritannien eingesetzt werden, ist weniger der konkrete Nachweis einzelner kausaler Zusammenhänge, sondern vielmehr die Suche nach statistischen Auffälligkeiten in der Gruppe der Geimpften. Die Meldungen werden dazu mit Zahlen zu vermuteten Krankheits- und Todesfällen abgeglichen, die es den Erwartungen zufolge ohne Impfungen gegeben hätte. Ziel ist es, über eine möglichst breite Datenbasis Auffälligkeiten und Muster einer möglichen Ausbreitung von Symptomen zu erkennen.

Gleiches gilt auch für das von RT ebenfalls als Quelle angeführten Monitoring des deutschen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI). Diese veröffentlicht regelmäßig aktualisierte Berichte zu seinen Beobachtungen. Sowohl am 4. als auch am 18. Februar 2021 meldete das PEI bezogen auf beobachtete Todesfälle nach Impfungen, dass deren Zahl «die erwartete Anzahl Todesfälle ohne Impfung nicht übersteigt.» Auch die PEI-Berichte beschreiben damit, wie von RT in einem Halbsatz erwähnt, lediglich Vermutungen über kausale Zusammenhänge.

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Links:

EMA-Dashboard zum Biontech/Pfizer-Impfstoff: http://dpaq.de/4eX3s (archiviert: https://archive.vn/D65tH)

EMA-Dashboard zum Moderna-Impfstoff: http://dpaq.de/iwm5F (archiviert: https://archive.vn/LIrCU)

Erklärtext zur Interpretation der Daten: http://www.adrreports.eu/de/index.html (archiviert: https://archive.vn/1E5RF)

dpa-Faktencheck zum Monitoring in Großbritannien: https://dpa-factchecking.com/germany/210216-99-467552/

PEI-Sicherheitsbericht (04.02.2021): https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/dossiers/sicherheitsberichte/sicherheitsbericht-27-12-bis-31-01-21.pdf?__blob=publicationFile&v=5 (archiviert: http://dpaq.de/1KzN2)

PEI-Sicherheitsbericht (18.02.2021): https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/dossiers/sicherheitsberichte/sicherheitsbericht-27-12-bis-12-02-21.pdf?__blob=publicationFile&v=9 (archiviert: http://dpaq.de/ScuHX)

RT-Artikel: https://de.rt.com/meinung/112840-tote-und-geschaedigte-covid-19-impfung-mit-vielen-nebenwirkungen/ (archiviert: https://archive.vn/TOxAi)

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Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: faktencheck@dpa.com