Kein Beleg für vielfach «falsche Corona-Tote» oder Profit für Kliniken und Bestatter durch Todesfälle

19.02.2021, 16:20 (CET)

Die Zahl der Corona-Todesfälle ist immer wieder Gegenstand von Gerüchten oder Falschinformationen. So befasst sich ein in sozialen Medien kursierender Blogbeitrag zurzeit mit angeblich «falschen Corona-Toten» (hier archiviert). Es wird von einem anonymen Arzt berichtet, der angeblich auf Anweisung seines Chefs in Totenscheine Covid-19 eintragen sollte, obwohl die Verstorbenen negativ getestet worden sein sollen. Es heißt in dem Blogbeitrag zudem, dass Bundesämter und Statistiker für das Corona-Jahr 2020 «keine pandemiebedingte Übersterblichkeit» ermittelt haben sollen. Es soll auch vermeintliche Profiteure hoher Corona-Todeszahlen geben. So heißt es, «Kliniken, wie etwa die Charité» würden angeblich «rückwirkend 40 bis 80 Euro für eine nachträglich erkannte Infektion» eines Verstorbenen erhalten. Ebenso sollen Bestatter an Corona-Toten mitverdienen: «Die Kosten für die «letzte Reise» steigen mit jedem «Corona-Totenschein»».

BEWERTUNG: Der Beitrag enthält irreführende und teilweise falsche Aussagen. Tote, bei denen die Covid-19-Erkrankung anderweitig, jedoch ohne positiven Corona-Test nachgewiesen wurde, gehen nicht in die offizielle Statistik der Todesfälle ein. Weil mit dem Tod die Krankenversicherung erlischt, können Kliniken keine Krankheiten abrechnen, die sie nachträglich erkennen, teilte die Deutsche Krankenhausgesellschaft mit. Bestatter machen mit Corona-Toten keinen großen Profit, sondern erhalten mehr Geld, um höhere Kosten zu decken. Zentrale Aussagen des zitierten Statistikers zur Einschätzung der Sterblichkeitsraten 2020 wurden weggelassen.

FAKTEN: In dem Beitrag heißt es: «Im Coronajahr 2020 gibt es keine pandemiebedingte Übersterblichkeit.» Als Quelle wird dafür der Münchner Statistiker Göran Kauermann genannt, der zum Nachrichtenportal «Focus Online» sagte: «Wir haben bei der Auswertung der Todeszahlen der Vorjahre im Vergleich zum letzten Jahr gesehen, dass es über das ganze Jahr hinweg betrachtet durchschnittlich in ganz Deutschland kaum eine nennenswerte Übersterblichkeit gab.»

Hier wurde Kauermann in dem kursierenden Blogbeitrag richtig zitiert. Allerdings werden weitere zentrale Aussagen des Statistikers weggelassen. In diesen erklärt er aber, wie der Befund zur Übersterblichkeit korrekt zu verstehen ist. In dem zitierten Text von «Focus Online» heißt es explizit: «Dass sich für Gesamtdeutschland trotz Corona im vergangenen Jahr keine nennenswerte Übersterblichkeit ergab, darf dennoch nicht falsch interpretiert werden - oder gar als Argument zur Verharmlosung von Corona genutzt werden.»

Der Statistiker Göran Kauermann führt dann aus, dass sich die Zahlen etwa zwischen den Bundesländern, der Jahreszeit und den Altersgruppen unterscheiden - selbst wenn sie sich zusammengerechnet auf das ganze Jahr ausgleichen. Eine «pandemiebedingte Übersterblichkeit» ist etwa in der Gruppe der über 80-Jährigen zu sehen: «Hier zeigt sich eine deutliche Übersterblichkeit zum Ende des letzten Jahres hin», wird Kauermann zitiert. Das fehlt im Blogbeitrag.

Der Beitrag erwähnt stattdessen den Fall, dass Menschen laut Totenschein an oder mit Corona gestorben sind - vorher jedoch einen negativen Corona-Test hatten. Es ist jedoch falsch, hier von «falschen Corona-Toten» zu sprechen.

Denn obwohl in der Regel ein positiver Corona-Test zur Diagnose vorliegen muss, können Ärzte unter Umständen auch mithilfe eines CTs oder Röntgenbilds der Lunge Covid-19 diagnostizieren. «Das Virus führt zu relativ typischen Lungenveränderungen, die von anderen Entzündungsformen der Lunge abgegrenzt werden können», teilte das Robert Koch-Institut (RKI) dazu dem Bayerischen Rundfunk mit.

Solche Todesfälle mit klinischen Befunden können aber nicht die Statistik der Corona-Todesfälle verändern: Denn nur Verstorbene, die zuvor einen positiven Corona-PCR-Test hatten, werden in die offizielle RKI- Statistik aufgenommen. Das haben das RKI, das bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) sowie ein Krankenhaus in Rosenheim Faktencheckern des Bayerischen Rundfunks bestätigt.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat der Deutschen Presse-Agentur (dpa) zudem auf Anfrage mitgeteilt, dass ihr Strafanzeigen oder gar Verurteilungen wegen Urkundenfälschung bei Corona-Totenscheinen nicht bekannt seien. «Absurd und unbelegt» nennt die Deutschen Krankenhausgesellschaft die Behauptung, viele Ärzte würden Totenscheine absichtlich falsch ausstellen. Auch der Bundesärztekammer sind keine Fälle bekannt, in denen Totenscheine in Zusammenhang mit Corona falsch ausgestellt wurden.

Schließlich ist die Darstellung irreführend, dass Krankenhäuser oder Bestatter mit Corona-Toden erheblich mehr Geld verdienen würden.

Die im Beitrag erwähnten «40 bis 80 Euro» können Kliniken als Corona-bedingte Mehrkosten abrechnen, die ihnen für die Behandlung von Patienten entstehen. Grundsätzlich ist die Behandlung von Corona-Patienten oder Verdachtsfällen sehr aufwendig - etwa aufgrund zusätzlicher Schutzmaßnahmen. Deshalb können Mehrkosten entstehen.

Es ist allerdings nicht möglich, nach dem Tod eines Patienten «rückwirkend 40 bis 80 Euro für eine nachträglich erkannte Infektion» zu erhalten. Denn mit dem Tod erlischt der Krankenversicherungsschutz des Patienten. «Damit ist auch eine weitere Abrechnung nachträglich diagnostizierter Erkrankungen gar nicht möglich», teilte ein Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft auf dpa-Anfrage mit.

Ärzte haben keinen finanziellen Vorteil, wenn sie Covid-19 als Todesursache in den Totenschein eintragen. Das bestätigten die Deutsche Krankenhausgesellschaft und das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus Faktencheckern von «Correctiv» bereits im September 2020.

Auch für Bestatter bedeutet der Umgang mit Corona-Toten mehr Aufwand. Der Blogbeitrag merkt korrekt an, dass dadurch auch die Kosten steigen. Der Bundesverband Deutscher Bestatter weist auf dpa-Anfrage darauf hin, dass Vorgaben des RKI und des Arbeitsschutzes etwa mehr Hygienemaßnahmen oder mehr Schutzausrüstung vorschreiben. Auf «etwa 80 bis 120 Euro», schätzt Verbandssprecherin Elke Herrnberger die Mehrkosten.

Gewinn bedeute das für Bestatter aber kaum. Es sei «mehr oder weniger ein Nullsummenspiel», sagt Sprecherin Herrnberger. Viele Bestatter hätten im vergangenen Jahr Schutzmaterial zu überhöhten Preisen eingekauft, die sie nicht wieder vollständig ausgleichen könnten. Durch die Kontaktbeschränkungen fiele zudem die Ausrichtung aufwendiger Trauerfeiern als Einnahmequelle für Bestatter weg.

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Links:

Bericht bei «Focus Online» über die Interpretation von Zahlen zur Übersterblichkeit (6. Februar 2021): https://www.focus.de/gesundheit/news/ueber-57-000-corona-tote-in-deutschland-statistiker-erklaert-trotz-corona-gab-es-keine-uebersterblichkeit-in-deutschland_id_12941412.html (archiviert: https://archive.vn/gc9Rk)

BR-Faktencheck (16. Februar 2021): https://www.br.de/nachrichten/bayern/faktenfuchs-corona-tote-ohne-positiven-test,SOnniFr (archiviert: https://archive.vn/H3l7i)

dpa-Faktencheck «Keine Belege für Behauptungen über vielfach gefälschte Totenscheine»: https://dpa-factchecking.com/germany/210212-99-416883/

Entgelttarif für Krankenhäuser ab dem 1. Februar 2021, Charité Berlin: https://www.charite.de/fileadmin/user_upload/portal/klinikum/behandlung_stationaer/Entgelttarif.pdf (archiviert: http://dpaq.de/QfCAF)

Correctiv-Faktencheck «Nein, Ärzte werden nicht dafür bezahlt, wenn sie als Todesursache Covid-19 eintragen» (4. September 2020): https://correctiv.org/faktencheck/2020/09/04/nein-aerzte-werden-nicht-dafuer-bezahlt-wenn-sie-als-todesursache-covid-19-eintragen/(archiviert: http://dpaq.de/x9eHL)

Empfehlungen des RKI zum Umgang mit Sars-CoV-2-infizierten Verstorbenen: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Verstorbene.html (archiviert: https://archive.vn/GWs4H)

Blogbeitrag mit den Behauptungen über Corona-Todesfälle: https://reitschuster.de/post/herr-doktor-faelscht-die-totenscheine/(archiviert: https://archive.vn/yR7wz)

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