WHO setzt weiter auf PCR-Tests - Einschätzung zu Notlage nicht geändert
3.2.2021, 10:14 (CET)
Müssen staatliche Corona-Maßnahmen wie Quarantäneanordnungen, Kontaktbeschränkungen und andere Grundrechtseinschränkungen zurückgenommen werden? Ja, argumentiert ein Artikel auf dem Polit-Blog «Achgut.com» (hier archiviert) unter der Überschrift «WHO beendet Epidemische Lage von Nationaler Tragweite»: Die Weltgesundheitsorganisation WHO habe ihre Einschätzungen zu PCR-Tests verändert. Der staatliche Infektionsschutz habe damit keine Grundlage mehr. «Ein pflichtgemäß handelnder Deutscher Bundestag hat daher umgehend (...) das sofortige Ende einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite festzustellen.»
BEWERTUNG: Bei der zitierten Veröffentlichung der WHO handelt es sich um eine Empfehlung für Laborpersonal zum Umgang mit PCR-Tests, welche die UN-Organisation weiterhin als «hochverlässliches Instrument» zur Covid-Diagnose betrachtet. Ihre Einschätzung zur «gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite» in Bezug auf das Coronavirus hat die WHO nicht zurückgenommen. Zudem hat der Bundestag auch unabhängig davon die Möglichkeit, eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festzustellen.
FAKTEN: Die WHO hat am 30. Januar 2020 eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite ausgerufen. Diese wird im deutschen Infektionsschutzgesetz (IfSG) als eine mögliche Voraussetzung genannt, damit der Bundestag eine «epidemische Lage von nationaler Tragweite» feststellen kann. Eine solche ermöglicht den staatlichen Stellen zum Beispiel Grundrechtseinschränkungen.
Fällt diese Kausalkette nun in sich zusammen? Ja, argumentiert das Blog «Achgut.com» und zitiert eine Informationsnotiz der WHO vom 20. Januar 2021. Diese Notiz richtet sich an Laborpersonal und mahnt an, bei den in der Corona-Pandemie zur Diagnostik eingesetzten PCR-Tests genau die Gebrauchsanweisungen zu beachten.
Wie der Autor des «Achgut»-Artikels richtig zitiert, erinnert die WHO daran, dass der sogenannte Ct-Wert bei Tests umgekehrt proportional zur Viruslast des Getesteten ist. Der Wert gibt die Testzyklen an, die nötig sind, um Virus-RNA zu reproduzieren und damit zu erkennen. Zudem rät die WHO, dass neue Tests durchgeführt werden sollten, wenn ein erstes Ergebnis nicht zum klinischen Bild, also zu den Symptomen des Patienten passt. Generell müssten bei einer Diagnose auch immer andere Faktoren wie etwa Symptome berücksichtigt werden.
An keiner Stelle jedoch ist in der Notiz die Rede davon, dass die WHO ihre Einschätzungen bezüglich der internationalen gesundheitlichen Notlage geändert haben könnte. Damit ist auch die Behauptung irreführend, dass aus der WHO-Notiz hervorgehe, dass es für den staatlichen Infektionsschutz in Deutschland keine Grundlage mehr gebe und dass der Bundestag die epidemische Lage in Deutschland beenden müsse. Ihre eigene Ausrufung einer internationalen Notlage hat die WHO bislang nicht zurückgenommen (Stand: 2.2.2021).
Auch auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) teilt die WHO mit, dass die Informationsnotiz keinerlei Auswirkungen auf die erklärte internationale Notlage habe. «Wir möchten bekräftigen, dass wir ordnungsgemäß verwendete PCR-Tests für ein hochverlässliches Instrument zur Diagnose von Covid-19 halten», schreibt eine Sprecherin.
Hintergrund der Notiz sind demnach zehn Berichte an die WHO über Probleme mit Sars-CoV-2-PCR-Tests seit Anfang 2020. Dabei sei es sowohl um falsch-positive als auch falsch-negative Ergebnisse gegangen. Eine Untersuchung habe ergeben, dass die Tests dabei nicht immer ordnungsgemäß und den Herstellervorgaben entsprechend genutzt worden seien. Konkret sei es um falsch verwendete Schwellenwerte bei den Testzyklen gegangen. Die Notiz, die in einer ersten Version bereits am 14. Dezember veröffentlicht wurde, empfehle die genaue Beachtung der Gebrauchsanweisungen, bekräftigt die WHO.
Eine rechtliche Auswirkung der Notiz auf die Bewertung der epidemischen Lage in Deutschland gibt es nicht. Diese hatte der Deutsche Bundestag am 25. März 2020 im Zuge einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes festgestellt - damals aber noch rechtlich unabhängig von der vorausgegangenen WHO-Ausrufung. Dass diese laut Paragraf 5 IfSG eine mögliche Voraussetzung darstellt, gilt erst seit dem 18. November 2020, als das Infektionsschutzgesetz abermals geändert wurde. Am gleichen Tag stellte der Bundestag auch den Fortbestand der epidemischen Lage in Deutschland fest.
Im Infektionsschutzgesetz wiederum werden PCR-Tests nicht als ein Kriterium für das Feststellen einer Notlage genannt. In Paragraf 4 wird lediglich definiert, dass das Robert Koch-Institut (RKI) als zuständige Behörde Maßnahmen zur Überwachung von bedrohlichen übertragbaren Krankheiten entwickeln kann und bei deren Bekämpfung auch mit der Weltgesundheitsorganisation zusammenarbeitet. Über konkrete Vorschriften der WHO zu Tests finden sich dort keine Regelungen.
Davon unabhängig wäre der Deutsche Bundestag beim Feststellen einer solchen Lage auch gar nicht auf die Ausrufung einer internationalen Notlage durch die WHO oder deren Einschätzung angewiesen: In Paragraf 5 wird seit der Änderung vom 18. November 2020 angeführt, dass eine epidemische Lage von nationaler Tragweite auch vorliegen kann, wenn «eine dynamische Ausbreitung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit über mehrere Länder in der Bundesrepublik Deutschland droht oder stattfindet». Wie diese Krankheitsausbreitung konkret verzeichnet wird, regelt das Gesetz nicht.
Allerdings werden als politisches Argument für die Corona-Maßnahmen in Deutschland immer wieder die erhobenen Fallzahlen angeführt. Infektionen mit Sars-CoV-2 sind in Deutschland meldepflichtig. Das RKI bezeichnet die PCR-Methode dabei als «Goldstandard» in der Diagnostik solcher Infektionen. Eine auf «Achgut.com» angedeutete Unterscheidung zwischen «Kontamination» und «Infektion» mit Sars-CoV-2 nimmt das RKI hingegen nicht vor.
Auch die auf «Achgut.com» als Argument angeführte Behauptung «Wer asymptomatisch durch die Welt läuft, der ist mit an absoluter Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch keine Ansteckungsgefahr für andere» entspricht nicht dem wissenschaftlichen Stand. Wie das RKI schreibt, spielen Ansteckungen durch Personen, die nie Symptome zeigen, vermutlich zwar nur eine untergeordnete Rolle. Allerdings stecke sich «ein relevanter Anteil von Personen» bei Infizierten an, noch bevor diese überhaupt Symptome zeigten.
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Links:
WHO-Ausrufung der internationalen Notlage (30.01.2020): https://www.who.int/news/item/30-01-2020-statement-on-the-second-meeting-of-the-international-health-regulations-(2005)-emergency-committee-regarding-the-outbreak-of-novel-coronavirus-(2019-ncov) (archiviert: https://archive.vn/qPBvr)
§ 5 Infektionsschutzgesetz zu Notlagen: https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/__5.html (archiviert: https://archive.vn/lCirY)
WHO-Notiz zu PCR-Tests (Version vom 20.01.2021): https://www.who.int/news/item/20-01-2021-who-information-notice-for-ivd-users-2020-05 (archiviert: https://archive.vn/6ny13)
WHO-Notiz zu PCR-Tests (Version vom 14.12.2020, archiviert): https://web.archive.org/web/20201215013928/https://www.who.int/news/item/14-12-2020-who-information-notice-for-ivd-users
Bundestags-Feststellung (25.03.2020): https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw13-de-corona-infektionsschutz-688952 (archiviert: https://archive.vn/HwbGx)
Überblick über Änderungen an § 5 IfSG: https://www.buzer.de/gesetz/2148/al115550-0.htm (archiviert: https://archive.vn/iM2uf)
Bundestag über Fortbestand der epidemischen Lage (18.11.2020): http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP19/2700/270040.html (archiviert: https://archive.vn/sjtn7)
§ 4 Infektionsschutzgesetz zu RKI-Aufgaben: https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/__4.html (archiviert: https://archive.vn/6IjdU)
§ 7 Infektionsschutzgesetz zu Meldepflichten: https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/__7.html (archiviert: https://archive.vn/VYX2C)
Robert Koch-Institut zu PCR-Tests: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Vorl_Testung_nCoV.html;jsessionid=8842BC6EB9EB651F68F8A285EAC47527.internet082?nn=13490888#doc13490982bodyText4 (archiviert: https://archive.vn/rGfMj#selection-2505.0-2505.37)
Robert Koch-Institut zu asymptomatischen und präsymptomatischen Infizierten: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html;jsessionid=4CAA1A2EFCF609BA40CBEACD5ECC0F05.internet052?nn=13490888#doc13776792bodyText3 (archiviert: https://archive.vn/ET2XH#selection-2561.0-2561.85)
Artikel auf «Achgut.com»: https://www.achgut.com/artikel/who_beendet_epidemische_lage_von_nationaler_tragweite (archiviert: https://archive.vn/S5Vui)
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