Kein Beleg für Sars-CoV-2-Immunität nach Infektion mit anderem Coronavirus - Studienlage ungeklärt

11.12.2020, 13:28 (CET)

Das neuartige Coronavirus ist seit einigen Monaten eine weltweite Bedrohung. Es gehört zur schon länger bekannten Familie der Coronaviren. Unter anderem der frühere Vizepräsident des Pharmaunternehmens Pfizer, Mike Yeadon, behauptet (hier archiviert): Wer schon einmal mit einem Erreger aus der Coronavirus-Familie infiziert war, sei daher immun gegen Sars-CoV-2. Eine Impfung gegen das neue Virus sei daher nicht notwendig. Im Internet wird diese Falschbehauptung ohne jegliche Einordnung weiterverbreitet.

BEWERTUNG: Zur Immunität gegen das neuartige Coronavirus gibt es bislang keine abschließend gesicherten Erkenntnisse. Forscher untersuchen noch, inwieweit sich Infektionen mit Erkältungsviren positiv auf die Immunabwehr gegen Sars-CoV-2 auswirken.

FAKTEN: In dem weit verbreiteten Video argumentiert Mike Yeadon mit dem Prinzip der Kreuzimmunisierung. Er zieht als Vergleich das Beispiel der Pocken heran.

Der britische Arzt Edward Jenner (1749-1823) hatte erkannt, dass die für den Menschen ungefährlichen Kuhpocken gegen die Pocken immun machen. 1796 konnte er auf diese Weise erfolgreich ein Kind gegen die Krankheit impfen.

Ähnlich argumentiert Yeadon für das Coronavirus: Wer einmal mit den bereits seit längerem kursierenden Varianten infiziert worden sei, sei auch gegen das neuartige Sars-CoV-2 immun.

Experten widersprechen dem aber: «Es gibt bisher keine Evidenz, dass es in Bezug auf Sars-CoV-2 in unserer Bevölkerung relevante Kreuzimmunität gibt, die vor Infektion schützt», sagte André Karch vom Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin der Universität Münster der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage.

Ähnlich äußerte sich auch Virologie-Professor Thomas Mertens: Die Frage der Kreuzimmunität sei «hinsichtlich einer Bedeutung für den teilweisen Schutz vor Covid-19 leider noch ungeklärt», sagte der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko) des Robert Koch-Instituts (RKI) in der «Schwäbischen Zeitung». Die Stiko entwickelt für Deutschland die Impfempfehlungen.

Wie das RKI schreibt, sind Coronaviren weit verbreitet und wurden erstmals Mitte der 1960er Jahre identifiziert. Mit Sars-CoV-2 seien insgesamt sieben Coronaviren bekannt, die den Menschen erkranken lassen können. Sie verursachen unter anderem gewöhnliche Erkältungen.

Eine vorangegangene Infektion mit anderen Varianten könne eine «kreuzreaktive Immunantwort» auslösen, erläutert das RKI. Allerdings ist die Studienlage noch sehr uneindeutig, wie mit Verweis auf mehrere Beispiele gezeigt wird.

Im Fokus der Untersuchungen stehen unter anderem sogenannte T-Zellen, die auf Sars-CoV-2 reagieren. Solche hatten Forscher unter anderem von der Universität von Kalifornien in San Diego bei 40 bis 60 Prozent ihrer 20 Probanden festgestellt - obwohl die Personen keinen Kontakt zu Corona-Infizierten hatten. Die Studie wurde im Juni 2020 im Zellbiologie-Fachjournal «Cell» veröffentlicht.

Die Forscher vermuten, dass das Immunsystem in diesen Fällen die entsprechenden Immunzellen als Reaktion auf andere existierende Coronaviren gebildet hat, wie sie im Fachmagazin «Nature Reviews Immunology» erläutern. Dies könnte Auswirkungen auf die Herdenimmunität haben, müsse aber weiter untersucht werden.

Auch die Medizinische Universität Wien hatte in einem Fachartikel darauf hingewiesen, dass sich T-Zellen nicht nur im Blut von genesenen Covid-19-Patienten finden ließen, sondern ebenfalls bei nicht infizierten Menschen. Das betraf etwa Blutproben aus den Jahren 2018 bis 2019, also vor der Pandemie.

Im Internet hatten Nutzer daraus fälschlicherweise gefolgert, dass bis zu 50 Prozent der Blutspender eine Immunität gegen Sars-CoV-2 haben. Die Universität hatte daraufhin in einem Faktencheck der Deutschen Presse-Agentur klargestellt, dass es sich um vorläufige Ergebnisse handelt und die Bedeutung der nachgewiesenen T-Zellen noch nicht erforscht ist.

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Links:

Video auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=D1onx7LaNio (archiviert: https://perma.cc/NNZ4-VDTC)

Robert Koch-Institut zur Frage «Was sind Coronaviren?»: https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html (archiviert: http://dpaq.de/2CVrM)

Robert Koch-Institut zum Thema Immunität: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html (archiviert: https://archive.vn/bZO4W)

Artikel über Edward Jenner im Ärzteblatt: https://www.aerzteblatt.de/archiv/3914/Edward-Jenner-200-Jahre-Pockenschutz (archiviert: https://archive.vn/T0ISG)

Studie über die Immunreaktion auf Sars-CoV-2 Coronavirus, erschienen im Fachjournal «Cell» (25. Juni 2020): https://www.cell.com/cell/fulltext/S0092-8674(20)30610-3#%20 (archiviert: http://dpaq.de/qLz50)

Beitrag im Fachmagazin «Nature Reviews Immunology»: Vorhandene Immunität gegen Sars-CoV-2 - Was bekannt ist und was nicht (7. Juli 2020): https://www.nature.com/articles/s41577-020-0389-z (archiviert: https://archive.vn/KYZwI)

Virusepidemiologische Information der Medizinischen Universität Wien: https://www.virologie.meduniwien.ac.at/fileadmin/virologie/files/Epidemiologie/2020/1820.pdf?fbclid=IwAR0C98GJ_Bz1tov_lqeldrrIp7hF24nNtIPpV4c1TUFHCDVpbJjosAeXJaA (archiviert: http://dpaq.de/7IdKj)

Interview mit Prof. Mertens in der «Schwäbischen Zeitung»: https://www.schwaebische.de/ueberregional/politik_artikel,-mertens-sars-cov-2-ist-in-mehrfacher-hinsicht-gefaehrlich-_arid,11277516.html (archiviert: http://dpaq.de/vV8uo)

Angaben zu Mike Yeadon von «Bloomberg»: https://www.bloomberg.com/profile/person/17885352 (archiviert: http://dpaq.de/sW75H)

«Forbes»-Artikel zu Mike Yeadon: https://www.forbes.com/sites/johnlamattina/2017/03/15/turning-pfizer-discards-into-novartis-gold-the-story-of-ziarco/ (archiviert: https://archive.vn/Jnb5t)

Faktencheck von Leadstories.com: https://leadstories.com/hoax-alert/2020/10/fact-check-former-pfizer-scientist-not-correct-saying-second-wave-faked-on-false-positive-covid-tests-pan.html (archiviert: https://archive.vn/AEMsJ)

dpa-Faktencheck zum Fachartikel der Medizinischen Universität München: https://dpa-factchecking.com/austria/200921-99-650286/

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