Statistikregel ist kein Beleg für Wahlbetrug in den USA
19.11.2020, 12:44 (CET)
Die Verteilung der Stimmen bei der US-Wahl liefere den «mathematischen Beleg» für Betrug, wird in einem Artikel behauptet - denn sie stehe im Widerspruch zum Benfordschen Gesetz (hier archiviert). Im Text wird auf einen englischsprachigen Artikel verwiesen. Auch andere US-Websites haben dieses Argument aufgegriffen und schreiben von «Beweis».
BEWERTUNG: Falsch. Eine Abweichung vom Benfordschen Gesetz ist kein solides Indiz für eine Wahlmanipulation.
FAKTEN: Viele Datensammlungen folgen dem sogenannten Benfordschen Gesetz. Diese auf den ersten Blick verblüffende mathematische Regel sagt voraus, dass bei vielen gemessenen oder beobachteten Zahlenreihen knapp ein Drittel der Werte (30,1 Prozent) mit einer «1» beginnt (z. B. 11, 16, 165). Nur 4,6 Prozent der Werte beginnen mit einer «9», die Ziffern von «2» bis «8» liegen dazwischen. Voraussetzung: Die Zahlenreihe muss ausreichend lang sein, und der größte Wert um einige Zehnerpotenzen größer als der kleinste (Erklärvideo, Interview).
Grundlage für diese bemerkenswerte Zahlenverteilung sind Wachstumsprozesse. Das lässt sich zum Beispiel mit Pflanzen veranschaulichen: Wenn ein 1 cm langer Trieb jede Woche konstant um 10 Prozent wächst, braucht er acht Wochen, um 2 cm zu überschreiten. Bis zur 3-cm-Marke vergehen aber nur vier weitere Wochen, die notwendige Zeit wird mit höheren führenden Ziffern immer kürzer, von 9 auf 10 cm schließlich dauert das Wachstum nur wenig mehr als eine Woche. Sobald der Trieb die 10-cm-Marke erreicht hat, beginnt dieses Spiel wieder von vorn, erst nach acht Wochen wird er länger als 20 cm sein.
Das Benfordsche Gesetz und verwandte Methoden werden von Wissenschaftlern, Wirtschaftsprüfern und Steuerfahndern benutzt, um Datenbetrug aufzuspüren. Deren Ansatz: Wenn Zahlen in einem Dokument seltener als erwartet mit einer «1» beginnen, könnte das ein Hinweis darauf sein, dass sie erfunden sind.
Aber das Benfordsche Gesetz gilt nicht für alle empirischen Zahlenreihen, insbesondere dann nicht, wenn die beobachteten Zahlen anderen Beschränkungen unterliegen - die Größe von Wahlbezirken zum Beispiel ist politisch festgelegt und ist kein Wachstumsprozess.
«Die erste Ziffer der Stimmen, die für Biden/Harris abgegeben wurden, wird häufig 3, 4 oder 5 sein. Diese Verteilung, die dem Benfordschen Gesetz widerspricht, gibt schlicht die Größe der Wahlbezirke wieder» schreibt der Politikwissenschaftler Walter R. Mebane in einer Analyse der in US-Medien verbreiteten Zahlen über Wahldaten aus Georgia, Pennsylvania, Illinois und Wisconsin.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Bei der Untersuchung von Unregelmäßigkeiten bei Wahlen gilt das Benfordsche Gesetz nicht als solider Indikator. «Die Übereinstimmung mit und die Abweichungen vom Benfordschen Gesetz folgen keinem Muster», heißt es in einer Untersuchung der Universität Cambridge von 2011. Es sei nicht einfach so, dass das Gesetz gelegentlich eine betrügerische Wahl als fair oder eine faire Wahl als betrügerisch einordnet - die «Erfolgsquote» in beiden Fällen entspreche im Wesentlichen einem zufälligen Muster. Das Benfordsche Gesetz sei daher auf Wahlen angewandt «im besten Fall als forensisches Instrument problematisch und im schlimmsten Fall völlig irreführend».
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Links:
Beitrag: https://sciencefiles.org/2020/11/08/benfords-law-mathematischer-beleg-fur-wahlbetrug-in-den-usa/ (archiviert: https://archive.vn/Dkftq)
Verlinkter Artikel: https://theredelephants.com/there-is-undeniable-mathematical-evidence-the-election-is-being-stolen/ (archiviert: https://archive.vn/dUfPG)
Weiterer US-Artikel:
https://www.thegatewaypundit.com/2020/11/update-benfords-law-used-prove-election-fraud-past-joe-bidens-numbers-michigan-99-flawed-no-surprise-tech-giants-banning-information/ (archiviert: https://archive.vn/COhUL)
Interview zum Benfordschen Gesetz: https://www.deutschlandfunk.de/gesetzmaessigkeiten-im-alltag-die-vorliebe-des-kosmos-fuer.676.de.html?dram:article_id=443722 (archiviert: https://archive.vn/DEhBs)
Erklärvideo zum Benfordschen Gesetz: https://www.youtube.com/watch?v=0CAC2zEAm2c
Aufsatz von Walter R. Mebane: http://www-personal.umich.edu/~wmebane/inapB.pdf (archiviert: http://dpaq.de/ACVSr)
Benford's Law and the Detection of Election Fraud:
https://www.cambridge.org/core/journals/political-analysis/article/benfords-law-and-the-detection-of-election-fraud/3B1D64E822371C461AF3C61CE91AAF6D (archiviert: https://archive.vn/YiZoQ)
Reuters-Faktencheck: https://de.reuters.com/article/uk-factcheck-benford/fact-check-deviation-from-benfords-law-does-not-prove-election-fraud-idUSKBN27Q3AI (archiviert: https://archive.vn/dL6BN)
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