Rückgang der verfügbaren Intensivbetten durch Personalmangel und geänderte Zählweise

17.11.2020, 13:04 (CET)

Angesichts hoher Infektionszahlen rückt die Versorgung von Corona-Patienten auf Intensivstationen stärker in den Fokus. In sozialen Medien verbreitet sich dazu eine Grafik, die offenbar belegen soll, dass die Zahl von Intensivbetten in Deutschland künstlich reduziert worden sei. «Angeblich haben wir eine Pandemie und ein Killer Virus bedroht unser aller Leben !!!!!!», heißt es in einem Beitrag dazu auf Facebook (hier archiviert). «Und genau in dieser schlimmen Zeit, werden bei uns massiv Intensiv Betten abgebaut.» Die dazugehörige Grafik zeigt in grünen Balken die «gemeldete Kapazität der verfügbaren Intensivbetten» - zwischen dem 31. Juli und dem 14. November wird diese immer kleiner.

BEWERTUNG: Die Grafik ist irreführend. Kapazitäten auf Intensivstationen wurden nicht bewusst abgebaut. Im August gab es zwei Änderungen in der Zählweise. Zusätzlich lässt die Grafik vorhandene Notfallreserven weg, die im offiziellen Divi-Register jedoch angezeigt werden.

FAKTEN: Die Belegung der Intensivstationen in den deutschen Krankenhäusern wird seit April in einem Register der Deutschen Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) abgebildet. Die Angaben hängen vor allem vom Personal ab. «Bett bedeutet eher so viel wie »Behandlungsplatz für einen Patienten«», teilte eine Sprecherin des Divi-Intensivregisters auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. «Dafür braucht man nicht nur das "Bett" sondern auch Pflegepersonal - es muss sich jemand um diesen Kranken kümmern.»

Der im Facebook-Beitrag beschriebene Rückgang der gemeldeten Intensivbetten ab August ist auch in einer Grafik auf der Divi-Homepage (siehe dritte Grafik unter Zeitreihen - hier archiviert) zu erkennen. Er lässt sich durch zwei Änderungen in der Zählweise erklären:

Bis Ende Juli waren laut Divi Pflegepersonaluntergrenzen auf den Intensivstationen ausgesetzt. Gesetzlich ist vorgeschrieben, dass sich ein Pfleger um maximal 2,5 Patienten kümmern darf. «Fehlt Pflegepersonal für weitere Betten, werden diese "gesperrt", also aus dem Betrieb genommen», teilte eine Divi-Sprecherin mit. Dieser Personalmangel sei derzeit hauptverantwortlich für die sinkende Kapazität: «Seit die Infektionszahlen im September und spätestens im Oktober wieder nach oben gehen, sind auch zahlreiche Pflegekräfte selbst infiziert. Pro erkrankter Pflegekraft können 2,5 Betten nicht als "betreibbar" gemeldet werden», heißt es in der Stellungnahme.

Zusätzlich wird im Divi-Intensivregister ab Anfang August eine Notfallreserve angezeigt. Gemeint sind Intensivplätze, die innerhalb von sieben Tagen einsatzbereit sind. Auf der Homepage des Registers (siehe Stichpunkt zu Gesamtzahl) heißt es, Daten legen nahe, dass durch die Änderung «ein Teil der vorig als "frei" gemeldeten Betten nun als Notfallreservekapazität gemeldet wird.» Hier haben sich also Kapazitäten verschoben. In der Facebook-Grafik wird das nicht angezeigt. Das macht sie irreführend.

Eine Erklärung gibt es auch für die Beobachtung, dass die Zahl der belegten Behandlungsplätze nur geringfügig gestiegen ist. Kliniken müssen trotz der Corona-Pandemie für den Alltagsbetrieb freie Intensivplätze bereithalten. Dies passiere nach Angaben der Divi-Sprecherin durch Verlegungen von Patienten: «Sonst könnten z.B. die Opfer eines größeren Autounfalls oder zwei, drei Schlaganfallpatienten an einem Tag nicht mehr adäquat versorgt werden.» Zudem zeigt der zeitliche Verlauf der Belegung Werte für ganz Deutschland an - regionale Überlastungen der Intensivstationen sind darin nicht sichtbar.

All diese Erklärungen fehlen in dem Facebook-Beitrag, der davon spricht, dass Intensivbetten abgebaut werden. In der verbreiteten Grafik fehlt außerdem die Nulllinie, was den Maßstab verzerrt. - alle Angaben vor der Kalenderwoche 31 sowie ein Teil der Skala der Bettenanzahl werden ausgelassen. Zudem weichen einzelne Zahlen der belegten Betten geringfügig von der Angabe im offiziellen Divi-Intensivregister ab.

---

Links:

Facebook-Beitrag mit der irreführenden Grafik (15. November 2020): https://www.facebook.com/photo/?fbid=1677789442392010&set=a.137729633064673 (archiviert: https://archive.vn/aSDh9)

Übersicht der Gesamtzahl gemeldeter Intensivbetten in Deutschland im Divi-Intensivregister, siehe «Zeitreihen», dritte Grafik von oben: https://www.intensivregister.de/#/intensivregister (archiviert: https://archive.vn/TSi8X)

Informationen im Divi-Intensivregister über die Notfallreserve, siehe «Was wird in der Zeitreihe "Gesamtzahl gemeldeter Intensivbetten" gezeigt?»: https://www.intensivregister.de/#/faq/3133a8a1-bd98-40ff-a073-b98116c4b5de

---

Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: faktencheck@dpa.com