Studie falsch interpretiert: US-Gesundheitsbehörde hält Masken nicht für wirkungslos
29.10.2020, 10:21 (CET)
Eine Corona-Studie der US-Gesundheitsbehörde CDC über Covid-19-Erkrankte wird seit Wochen falsch interpretiert - zuletzt sogar von US-Präsident Donald Trump. Im deutschsprachigen Raum versucht das Portal «journalistenwatch.com» anhand der Analyse eine angebliche Wirkungslosigkeit von Masken zu erklären. Demnach könne ein Mund-Nasen-Schutz sogar «für den Träger nicht nur atemberaubend im wahrsten Sinne des Wortes sein, sondern offenbar sogar [die] Wahrscheinlichkeit erhöhen, Corona-Symptome zu entwickeln», heißt es in einem Artikel vom 14. Oktober 2020 (hier archiviert).
BEWERTUNG: Die CDC-Studie wird völlig falsch interpretiert. Beim Maskentragen geht es um den Schutz anderer Menschen, nicht um den eigenen. Die US-Gesundheitsbehörde kommt in dem Papier zu dem Schluss, dass Masken die Ausbreitung des Coronavirus verlangsamen.
FAKTEN: Die US-Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und weitere amerikanische Gesundheitseinrichtungen haben in einer Studie untersucht, welchen Einfluss der Kontakt zu anderen Menschen oder der Besuch öffentlicher Orte auf das Corona-Krankheitsgeschehen unter Erwachsenen haben kann. Dazu wurden zwischen 1. und 29. Juli 2020 mehr als 300 Probanden befragt, die Ergebnisse wurden am 11. September veröffentlicht.
Die Studie unterscheidet zwei Gruppen: Menschen, die positive Coronatest-Ergebnisse erhielten («Fallpatienten», engl. «case-patients»), und Probanden, die negativ getestet wurden («Kontrollteilnehmer», engl. «control participants»). Die zweite Gruppe diente den Forschern als Vergleichsgröße.
Auf Seiten 3 und 4 der Studie ist eine zweiteilige Tabelle zu finden, in der Charakteristika aller Teilnehmer - also sowohl «Fallpatienten» als auch «Kontrollteilnehmer» - angegeben werden. Dabei geht es etwa um Merkmale wie Alter, Ethnie oder Bildung, aber auch etwa darum, ob sie in den 14 Tagen vor den ersten Symptomen zum Beispiel Kontakt mit Covid-19-Kranken hatten, oder ob sie im Restaurant, Fitnessstudio oder in einer Bar waren.
Im letzten Tabellenpunkt, auf dessen Daten nun «journalistenwatch.com» seine Analyse fußt, geht es um das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes («cloth face covering or mask»):
- Von den 153 befragten corona-positiven «Fallpatienten» gaben 70,6 Prozent an, in den 14 Tagen vor den ersten Symptomen «immer» («always») eine Maske getragen zu haben, bei 14,4 Prozent soll es «oft» («often») gewesen sein. 3,9 Prozent wollen das «niemals» («never») getan haben.
- Von den 159 befragten corona-negativen «Kontrollteilnehmern» aus der Vergleichsgruppe gaben 74,2 Prozent an, «immer» eine Maske getragen zu haben, 14,5 Prozent «oft». 3,1 Prozent taten dies «niemals».
Allein das zeigt schon: Ein größerer Anteil der Menschen, die negativ auf das Coronavirus getestet wurden, trug eigenen Angaben zufolge «immer» oder «oft» Masken im Gegensatz zu Teilnehmern, die positiv getestet wurden - 88,7 zu 85 Prozent.
Viele Nutzer sozialer Medien interpretieren die CDC-Tabelle vollkommen falsch - auch «journalistenwatch.com». Das Portal kommt etwa zu der Erkenntnis: «Daraus kann man auch folgern, dass sich Zehntausende Amerikaner trotz Gesichtslappen täglich mit Covid-19 infizieren.» Und weiter: «Masken funktionieren nicht, sie sind kein Mittel, um die Ausbreitung zu verlangsamen oder zu stoppen.»
Dabei ist zu bedenken: Seit Monaten wird von Experten und Forscherinnen wiederholt, dass Stoffmasken ihrer Einschätzung nach andere Personen schützen - nicht den Träger selbst.
US-Präsident Donald Trump ging Mitte Oktober bei einem Wahlkampfauftritt in Greenville (US-Bundesstaat North Carolina) sogar noch einen Schritt weiter und sagte über das Coronavirus: «85 Prozent der Menschen, die eine Maske tragen, fangen es sich ein.» Das ist aus der CDC-Studie überhaupt nicht herauszulesen.
Nach Angaben der CDC-Studie ist für eine Ansteckung die Nähe zu anderen Covid-19-Patienten besonders ausschlaggebend. Von den «Fallpatienten» gaben nämlich 42,2 Prozent an, engen Kontakt mit solch einer Person gehabt zu haben. In der Vergleichsgruppe waren es nur 14,5 Prozent. In der CDC-Untersuchung wird überhaupt nicht erhoben, ob die Covid-Erkrankten, mit denen die Studien-Probanten Kontakt hatten, eine Maske trugen.
Zudem gab es im Gegensatz zur Vergleichsgruppe unter den «Fallpatienten» eine viel höhere Zahl an Menschen, die in den 14 Tagen vor der Erkrankung in einem Restaurant oder in einer Bar gewesen waren. Die Autoren der Studie gaben in diesem Zusammenhang zudem zu bedenken: «Masken können beim Essen und Trinken nicht effektiv getragen werden.»
An keiner Stelle behauptet das CDC-Papier, der Gebrauch von Masken erhöhe «offenbar sogar [die] Wahrscheinlichkeit [...], Corona-Symptome zu entwickeln», wie «journalistenwatch.com» schreibt. Ganz im Gegenteil: Die Autoren der Studie empfehlen sogar explizit das Tragen von Masken in der Öffentlichkeit und in der Nähe von Menschen außerhalb des eigenen Haushalts.
Alltagsmasken helfen nicht allein und vollständig gegen die Ausbreitung des Coronavirus - sie sind vielmehr einer von vielen Strategiebausteinen in der Bekämpfung der Pandemie.
Für die generelle Wirksamkeit von Masken gibt es viele wissenschaftliche Belege, teilweise nach der Untersuchung Zehntausender Fälle. Kanadischen Forschern zufolge senkt ein Mund-Nasen-Schutz das Infektionsrisiko. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt ein Arbeitspapier deutscher Forscher, die die Wirkung von Gesichtsbedeckungen anhand der sehr frühen Maskenpflicht in Jena (Thüringen) untersuchten. Eine chinesische Studie legt sogar nahe, dass ein Mund-Nasen-Schutz wichtiger als Abstand sei, um die Übertragung des Virus zu verringern. Neben der chinesischen verweisen die US-Faktenchecker von «Politifact» zudem auf zwei weitere Studien, die im Gegensatz zur CDC-Erhebung nicht allein auf Befragungen beruhen.
Behauptungen, das Tragen von Masken sein gefährlich, haben sich in der Vergangenheit mehrfach als falsch erwiesen.
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Links:
CDC-Studie: https://www.cdc.gov/mmwr/volumes/69/wr/pdfs/mm6936a5-H.pdf (archiviert: http://dpaq.de/eAAp0)
Meldung zum Zitat von Trump_
http://dpaq.de/cylTE (archiviert: https://archive.vn/tbDpR)
Kanadische Studie (archiviert): https://web.archive.org/web/20200930094356/https://www.thelancet.com/action/showPdf?pii=S0140-6736%2820%2931142-9
Pressemitteilung zur Studie aus Mainz: «Masken tragen offenbar deutlich zur Eindämmung der Corona-Pandemie bei» vom 8.6.2020: https://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/11532_DEU_HTML.php (archiviert: http://dpaq.de/UcSfJ)
Vollständige Version der Mainzer Studie: http://ftp.iza.org/dp13319.pdf (archiviert: http://dpaq.de/ToZBs)
Chinesische Studie in der Fachzeitschrift «PNAS» vom 30.6.2020: https://www.pnas.org/content/117/26/14857 (archiviert: http://dpaq.de/hnOPv)
Faktencheck von «Politifact» über die CDC-Studie: https://www.politifact.com/factchecks/2020/oct/13/facebook-posts/masks-dont-collect-coronavirus/ (archiviert: http://dpaq.de/Red1U)
dpa-Faktenchecks über Masken:
- https://dpa-factchecking.com/germany/200911-99-521640/
- https://dpa-factchecking.com/germany/201005-99-829014/
- https://www.presseportal.de/pm/133833/4601991
- https://www.presseportal.de/pm/133833/4579011
Artikel auf «journalistenwatch.com» vom 14.10.2020: https://www.journalistenwatch.com/2020/10/14/studie-belegt-maskentragen-bringt-ueberhaupt-nichts/ (archiviert: https://archive.vn/wAwbH)
FB-Post mit Claim: https://www.facebook.com/photo/?fbid=3552445378148768 (archiviert: https://archive.ph/vrQ5K)
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