Falsche Angaben auf Corona-Flyer - Testzahl stagniert, Neuinfektionen steigen

24.10.2020, 13:33 (CEST)

Aus dem Internet in die Briefkästen: Deutschlandweit werden Flyer verteilt, auf denen die Gefahr durch das Coronavirus kleingeredet wird. Auf dem Flugblatt mit dem Titel «Positiv ist nicht krank» zum Beispiel verbreitet der Aktivist Bodo Schiffmann, die Pandemie werde allein durch die hohe Anzahl der Tests am Leben gehalten. «Der Anstieg der positiven Fälle entsteht nur, weil zu viel getestet wird», heißt es auf dem Infoblatt (hier archiviert).

BEWERTUNG: Falsch. Seit August gibt es wöchentlich in etwa gleich viele Tests, dennoch werden immer mehr Infektionen entdeckt.

FAKTEN: Zuletzt beobachtete das Robert Koch-Institut (RKI) einen beschleunigten Anstieg der Übertragungen in Deutschland. Am 15. Oktober hatte die Zahl der Neuinfektionen mit 6638 gemeldeten Fällen den bis dahin gemessenen Höchstwert vom 28. März erstmals überschritten. Danach stieg die Zahl weiter.

Tatsächlich sind die aktuellen Werte nur bedingt mit den Ergebnissen aus dem Frühjahr vergleichbar, weil mittlerweile wesentlich mehr getestet wird - das allerdings schon seit Wochen auf etwa gleichbleibendem Niveau.

Richtig ist: Über die Monate wurden die Test-Kapazitäten ausgebaut. Während es im Frühjahr pro Woche zwischen etwa 300 000 und 400 000 Tests waren, sind es seit Sommer mehr als 1 Million. Seit Mitte August gibt es aber wöchentlich in etwa gleich viele Tests, die Anzahl pendelt um 1,1 Millionen, wie das RKI mitteilt.

Im Gegensatz dazu nimmt die Zahl der aus den Bundesländern übermittelten Corona-Fälle seit Mitte August stetig zu und verzeichnet viel höhere Wachstumsraten.

Ein Beispiel: In der Woche vom 17. bis zum 23. August waren unter 1,09 Millionen Tests gut 9200 Positiv-Befunde. Sieben Wochen später (5. bis 11. Oktober) wurden 1,17 Millionen Resultate übermittelt, davon mehr als 29 000 positive. Während also die Anzahl der Tests nur um etwa 6,7 Prozent anstieg, schnellte die Zahl der Corona-Fälle um 214 Prozent nach oben.

Das RKI hält sich damit zurück, die Angaben zu Positiv-Ergebnissen und Test-Gesamtzahl miteinander ins Verhältnis zu setzen. Denn während die Labore festgestellte Corona-Infektionen verpflichtend übermitteln müssen, sind Angaben zur Zahl der durchgeführten Tests freiwillig. Diese Zahl schwankt etwas, zudem gibt es immer wieder Nachmeldungen. Laut RKI fließen Mehrfach-Tests ein und derselben Person als unterschiedliche Fälle in die Statistik ein, da keine persönlichen Daten zu den getesteten Menschen erfasst werden.

Das Science Media Center (SMC), das die RKI-Daten regelmäßig analysiert, schrieb bereits im August mit Blick auf die damalige Entwicklung: Zwar sei nicht auszuschließen, dass in einzelnen Wochen ein Anstieg der Fallzahlen zum Teil auf die damals zusätzlich durchgeführten Tests zurückzuführen sei. Der Schluss, dass steigende Fallzahlen nur davon abhingen, sei allerdings «unzulässig». Auch Epidemiologie-Professor Gérard Krause vom Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig sagte der Deutschen Presse-Agentur seinerzeit: «Der Anstieg der positiven Tests ist nicht allein dem Anstieg der Testungen geschuldet».

Der Flyer «Positiv ist nicht krank», der aktuell an Haushalte verteilt wird, zeigt zudem eine irreführende Grafik. Denn die Daten etwa zum Anteil positiver Tests an allen Abstrichen enden Mitte September. Damals lag der Anteil der Positiv-Ergebnisse bei 100 000 Tests tatsächlich über einen längeren Zeitraum zwischen 600 und 1000 wöchentlich.

Seitdem aber hat sich das Infektionsgeschehen in Deutschland massiv beschleunigt. Nur vier Wochen später (5. bis 11. Oktober) lag diese Zahl nach RKI-Angaben schon bei fast 2500 von 100 000. Diese neuere Entwicklung übermittelt das Flugblatt nicht mehr.

Außerdem behauptet der Flyer, das aktuelle Corona-Geschehen gehe «weltweit ohne erkennbaren Anstieg der Toten» einher. Auch bei dieser Behauptung enden die Daten spätestens am 11. September.

Schon auf Deutschland bezogen ist die These mittlerweile veraltet. Wie das RKI in seiner Aufschlüsselung der Todesfälle mitteilt, starben in den Wochen vor dem 11. September hierzulande tatsächlich vergleichsweise wenige Menschen an oder mit dem Coronavirus. Zwischen dem 27. Juni und dem 23. September war die tägliche Todeszahl nicht höher als 14, teils lag sie im unteren einstelligen Bereich.

Doch im Oktober stiegen die Zahlen wieder und lagen an einzelnen Tagen bei mehr als 40. Vor allem Trends wie diesem versuchen Bund und Länder mit verschärften Corona-Regeln Einhalt zu gebieten.

Dass die Todeszahlen vor Oktober nicht in dem Maße stiegen wie die Fallzahlen, lag vor allem am Alter der positiv Getesteten. Dem RKI zufolge lag der Mittelwert der erfassten Infizierten im April noch bei etwa 50 Jahren, bis Mitte August sank er auf 32 Jahre. Seitdem aber steigt er wieder - zuletzt auf 39 Jahre. Aktuell nehmen die Covid-19-Erkrankungen unter älteren Menschen wieder zu. Damit steigt auch die Anzahl schwerer Fälle, der Patienten in intensivmedizinischer Betreuung sowie der Todesfälle.

Bei jüngeren Menschen treten schwere Verläufe seltener auf als bei älteren. Zudem werden Todesfälle zeitversetzt registriert, da die Menschen meist nicht in der gleichen Woche sterben, in der sie sich infizieren.

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Links:

RKI-Lagebericht vom 15.10.2020: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Okt_2020/2020-10-15-de.pdf?__blob=publicationFile (archiviert: http://dpaq.de/FLSDh)

RKI-Lagebericht vom 20.10.2020 (mit Mittelwert des Alters): https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Okt_2020/2020-10-20-de.pdf?__blob=publicationFile (archiviert: http://dpaq.de/NZu06)

RKI über Test-Anzahl: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Testzahl.html

RKI über Todesfälle: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Daten/Fallzahlen_Kum_Tab.html

RKI-FAQ zu Corona: https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html

Report des Science Media Center vom 13.8.2020: https://www.sciencemediacenter.de/fileadmin//user_upload/Aussendungen_PDF_Anhaenge/Corona_daily_report_20200813.pdf (archiviert: http://dpaq.de/1Oiai)

Flyer «Positiv ist nicht krank» (archiviert): http://dpaq.de/lwge0

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