Alte Schädelverletzung: Austritt von Hirnflüssigkeit nach Nasenabstrich ist Einzelfall

7.10.2020, 11:19 (CEST)

Bei vielen Millionen Coronatests weltweit wird aus dem Einzelfall einer US-Patientin eine verallgemeinernde Horrormeldung gemacht: Angeblich besteht beim Nasenabstrich die Gefahr, dass mit den Teststäbchen im Rachenraum bis zum Gehirnbereich vorgedrungen werden könne. Anfang Oktober 2020 wird im Netz die Geschichte einer Frau verbreitet (hier archiviert), die angeblich «lebensgefährlich» am Gehirn verletzt worden sei - vermeintlicher Grund: der Corona-Nasenabstrich. «Der Tupfer beschädigte einen Teil ihres Gehirns», heißt es an anderer Stelle (hier archiviert).

BEWERTUNG: Richtig ist, dass bei der Patientin Hirnflüssigkeit austrat. Allerdings hatte die Frau schon lange vor dem Coronatest einen Riss im Rachenbereich. Die Ärzte machen zudem keine Angaben dazu, ob sie sich jemals in Lebensgefahr befand.

FAKTEN: Es ist der bis dahin einzige dokumentierte Fall dieser Art: In den USA sind nach Angaben einer medizinischen Studie bei einer Frau nach einem Corona-Abstrich massive Probleme aufgetreten. Wie mehrere US-Ärzte in ihrem Aufsatz vom 1. Oktober 2020 berichten, klagte die Patientin danach über eine laufende Nase, Kopfschmerzen, einen steifen Nacken, Lichtempfindlichkeit, Erbrechen und einen metallischen Geschmack im Mund. Die Frau war wegen einer anstehenden Leistenbruch-Operation auf den Sars-CoV-2-Erreger getestet worden.

Im Krankenhaus wurde festgestellt, dass in dem Nasensekret der Frau Proteine enthalten waren, die für den Austritt von Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit sprachen. Nach Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT) wurde bei ihr ein 1,8 Zentimeter langer Riss im Schädel erkannt - als Folge einer sogenannten Enzephalozele.

Im Netz wurde anhand dieser medizinischen Studie fälschlicherweise unter anderem behauptet, die Frau sei durch das Stäbchen «am Gehirn verletzt» worden, die Tests seien «offenbar doch nicht so harmlos». An anderer Stelle heißt es, der Tupfer habe «einen Teil ihres Gehirns» beschädigt, sie habe «durch den Corona-Test einen schweren Schaden erlitten».

Eine solche Schlussfolgerung geht viel zu weit. Die Ärzte schreiben in ihrer Studie über die Untersuchungen der Patientin: «Ein Vergleich dieser Bilder mit Befunden mit einem CT aus dem Jahr 2017 ergab, dass die Enzephalozele mindestens aus dieser Zeit stammt» - also bereits vor dem Abstrich eine Schädigung vorhanden war. «Wir gehen davon aus, dass der Abstrich selbst nicht zu einer Verletzung der knöchernen Schädelbasis geführt hat», so die Ärzte. Er habe sich allerdings durchaus negativ auf die bereits bestehende Enzephalozele der Patientin ausgewirkt.

Nach Angaben der Ärzte wurde der Riss bei einer Operation repariert. Dass die Frau zuvor oder währenddessen möglicherweise in Lebensgefahr geschwebt habe, ist in der Studie nirgendwo erwähnt.

Die Ärzte fordern mit Blick auf Nasenabstriche, dass bei Patienten mit einer Krankengeschichte im Rachenbereich oder einer ungewöhnlichen Nasenanatomie alternative Testwege erforscht werden sollten.

Seit Wochen werden Angstmeldungen über die angebliche Gefahr von Corona-Abstrichen verbreitet. Als unwahr entlarvt wurde etwa bereits die These, dass Stäbchen die Barriere zum Gehirn durchstoßen könnten. Es ist auch falsch, dass Coronatests gefährliche Infektionen und Krankheiten nach sich ziehen.

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Links:

Medizinische Studie zum Fall der US-Patientin: https://jamanetwork.com/journals/jamaotolaryngology/article-abstract/2771362 (archiviert: https://archive.vn/9pnAN)

Fachartikel über Protein Beta-2-Transferrin in der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1888406/

US National Institute of Neurological Disorders and Stroke über Enzephalozele: https://www.ninds.nih.gov/Disorders/All-Disorders/Encephaloceles-Information-Page

dpa-Faktenchecks über Corona-Abstriche: https://dpa-factchecking.com/germany/200724-99-907598/, https://dpa-factchecking.com/germany/200818-99-217888/

Text mit fehlenden Informationen zu Vorfall bei Nasenabstrich: https://www.journalistenwatch.com/2020/10/05/lebensgefaehrlicher-test-irrsinn/ (archiviert: https://archive.vn/5yvfW)

Weiterer Text mit fehlenden Informationen zu Vorfall bei Nasenabstrich: https://www.wochenblick.at/fehler-beim-corona-test-gehirnfluessigkeit-laeuft-aus-der-nase/ (archiviert: https://archive.vn/dAnbq)

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