Keine Belege dafür, dass deutsche Rentner am ärmsten sind

22.9.2020, 12:20 (CEST)

Über die Höhe der Renten wird immer wieder diskutiert. In einem Facebook-Beitrag wird nun behauptet, Deutschland habe die ärmsten Rentner. Stimmt das?

BEWERTUNG: Für die Behauptung gibt es keine Belege. In OECD-Statistiken zum Vergleich der Rentenleistungen in europäischen Ländern liegt Deutschland nicht auf dem letzten Platz.

FAKTEN: Im Facebook-Post wird keine Quelle für die Behauptung angegeben. Aus dem Post geht auch nicht hervor, ob sich die Aussage des Facebook-Nutzers etwa auf die Durchschnittsrente oder die Rentenersatzquote bezieht. Außerdem ist nicht klar, ob Deutschland Schlusslicht im weltweiten oder europaweiten Vergleich sein soll. Fortfolgend wir für die Bewertung nur der europäische Raum betrachtet.

Zur Durchschnittsrente liegen keine europaweiten Zahlen vor. Eine Annäherung ermöglicht jedoch die europäische Statistikbehörde Eurostat, die unter anderem das durchschnittliche Nettoeinkommen von Menschen in Europa über 65 Jahren angibt. Mit 19 809 Euro liegt Deutschland dabei deutlich über dem Durchschnitt von 16 211 Euro. Frankreich, die Niederlande oder Österreich liegen beispielsweise über dem deutschen Niveau. Länder wie Bulgarien oder Kroatien liegen aber deutlich darunter. Die Rente hängt unter anderem vom Lohnniveau im jeweiligen Land ab.

Hinzu kommt, dass die Rente nicht die einzige Einkommensquelle sein muss. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) lag das Durchschnittseinkommen der über 65-Jährigen 2016 in Deutschland bei fast 89 Prozent des Durchschnittseinkommens (Seite 186) der Gesamtbevölkerung - im OECD-Schnitt waren es etwa 87 Prozent. Das geht aus der OECD-Studie «Pensions at a Glance 2019» hervor.

Ein weiteres Indiz für die Höhe der Renten in den europäischen Ländern ist die Rentenersatzquote, die ebenfalls in der OECD-Studie aufgeführt wird. Die Rentenersatzquote ist das Verhältnis des Einkommens im Rentenalter zu dem, was vorher verdient wurde.

Demnach kann ein Arbeitnehmer in Deutschland, der 2018 in den Arbeitsmarkt eingetreten ist, später im Rentenalter mit staatlichen Bezügen von knapp 52 Prozent seines letzten Lohns (Seite 157) rechnen. Im OECD-Schnitt sind es rund 59 Prozent. Trotzdem ist Deutschland nicht Schlusslicht der europäischen OECD-Länder: In Irland liegt dieser Wert bei 36, in Polen bei 35 Prozent.

Deutschland ist also weder beim Durchschnittseinkommen der über 65-Jährigen noch bei der Rentenersatzquote Schlusslicht in Europa.

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Links:

Facebook-Post: https://www.facebook.com/hansulrich.roth/posts/3835220969825928 (archiviert: http://dpaq.de/5abyh)

Keine europaweiten Zahlen zur Durchschnittsrente: https://ec.europa.eu/eurostat/de/web/employment-and-social-inclusion-indicators/social-protection-and-inclusion/pension (archiviert: https://archive.vn/gG4vN)

Eurostat-Statistik: http://docs.dpaq.de/16826-eurostat.png (archiviert: https://archive.vn/ZqNE5)

OECD-Studie «Pensions at a Glance 2019»: https://read.oecd-ilibrary.org/social-issues-migration-health/pensions-at-a-glance-2019_b6d3dcfc-en#page1 (archiviert: http://dpaq.de/sADRN)

OECD zur Rentenersatzquote in Deutschland (Seite 157): https://read.oecd-ilibrary.org/social-issues-migration-health/pensions-at-a-glance-2019_b6d3dcfc-en#page157 (archiviert: https://archive.vn/0K86z)

OECD zum Durchschnittseinkommen bei Über-65-Jährigen (Seite 186): https://read.oecd-ilibrary.org/social-issues-migration-health/pensions-at-a-glance-2019_b6d3dcfc-en#page186 (archiviert: https://archive.vn/oBSyT)

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