Arbeitspapier fehlinterpretiert: Forscher warnen lediglich vor Überbewertung der Corona-Maßnahmen

16.09.2020, 11:13 (CEST)

Lockdown und Maskenzwang hatten keine Auswirkung auf die Covid-19-Entwicklung - zu diesem Schluss soll eine renommierte US-amerikanische Forschungseinrichtung in einer Studie gekommen sein, heißt es in Beiträgen in sozialen Medien (hier archiviert). Dabei wird auf ein Papier des National Bureau of Economic Research (NBER) verwiesen, das angeblich «besagt, dass weder Lockdowns noch Maskengebot einen Einfluss auf den Verlauf von Covid-19 hatten.»

BEWERTUNG: Es wird an keiner Stelle der Arbeit behauptet, dass staatliche Maßnahmen keinen Einfluss auf die Corona-Pandemie gehabt hätten. Die Studienautoren warnen lediglich davor, die Wirksamkeit dieser Maßnahmen überzubewerten. Bei der zitierten Studie handelt es sich zudem um keine offizielle NBER-Position.

FAKTEN: Die Studie «Four Stylized Facts About Covid-19» erschien Ende August 2020 als sogenanntes «NBER Working Paper» gemeinsam mit 24 weiteren Arbeitspapieren auf der Homepage des National Bureau of Economic Research.

Andrew Atkeson, Karen Kopecky und Tao Zha wollen damit nach eigenen Worten eine Art Vorarbeit für andere Wissenschaftler leisten, die sich mit den Auswirkungen staatlicher Maßnahmen auf den Verlauf der Corona-Pandemie beschäftigen. («We document four facts about the COVID-19 pandemic worldwide relevant for those studying the impact of non-pharmaceutical interventions (NPIs) on COVID-19 transmission.»)

In ihrem Papier beschreiben sie, wie sich die Wachstumsraten der täglichen Todesfälle 20 bis 30 Tage nach dem Auftreten der ersten 25 kumulierten Todesfälle in einer Region verändert haben. Das Ergebnis ihrer Modelle: Innerhalb dieses Zeitraums fielen die Wachstumsraten in allen beobachteten Ländern und Regionen von hohen Anfangswerten ausgehend fast gegen null und blieben anschließend grob bei diesem Wert.

Dieses Ergebnis nehmen die Autoren zum Anlass, frühere Studien-Ergebnisse, wonach nicht-pharmazeutische Interventionen (NPIs) zu einer Eindämmung des Coronavirus geführt hätten, in Frage zu stellen. Würde man ihre Ergebnisse zum Verlauf der Todesraten nicht berücksichtigen, könnte das dazu führen, «dass die Bedeutung politisch angeordneter NPIs für den Verlauf dieser tödlichen Pandemie überbewertet wird.» («We argue that failing to account for these four stylized facts may result in overstating the importance of policy mandated NPIs for shaping the progression of this deadly pandemic.») Sie geben also Hinweise für weitere Forschung und warnen davor, die Bedeutung staatlicher Maßnahmen zu überhöhen.

Arbeitspapiere - wie das von Atkeson, Kopecky und Zha - werden weder derselben Überprüfung unterzogen wie offizielle NBER-Veröffentlichungen, noch werden sie dem Vorstand des NBER zur Genehmigung vorgelegt, wie auf dem Titelblatt vermerkt. Stattdessen haben Arbeitspapiere den Zweck, vorläufige Ergebnisse anderen Forschern zur Verfügung und zur Diskussion zu stellen, wie es auf der NBER-Homepage heißt.

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Links:

Beitrag: https://www.facebook.com/wimacht/posts/2375338042775236 (archiviert: https://archive.vn/X8o5K)

Studie: https://www.nber.org/papers/w27719.pdf (archiviert: https://web.archive.org/web/20200914125508/https://www.nber.org/papers/w27719.pdf)

Archiv der NBER Working Papers:  https://www.nber.org/new_archive/2020.html (archiviert: https://archive.vn/lfzTp)

NBER-Homepage zu Working Papers:  https://www.nber.org/papers.html (archiviert: https://archive.vn/pNa2r)

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