Internet in Deutschland vergleichsweise wenig reglementiert

11.09.2020, 16:29 (CEST)

Wie steht es eigentlich um die Freiheit im Internet in Deutschland? Angeblich schlecht: So habe Deutschland «im Eiltempo Nordkorea abgehängt» und stehe «weltweit auf Platz 1 beim Thema Internetzensur», heißt es in einem Sharepic (hier archiviert). Die Behauptung ist nicht neu, sie taucht in regelmäßigen Abständen in den sozialen Netzwerken auf.

BEWERTUNG: Nein, Deutschland ist nicht das Land, in dem Inhalte aus dem Internet weltweit am stärksten reglementiert werden - im Gegenteil. Ein Vergleich mit Nordkorea kann nicht gezogen werden, da die Rechtslage in Deutschland grundsätzlich nicht mit der in Nordkorea vergleichbar ist.

FAKTEN: Deutschland gehört zu den Ländern, in denen das Internet am wenigsten reglementiert ist, so die Freedom-House-Studie «Freedom on the Net». Im weltweiten Vergleich liegt Deutschland auf dem vierten Platz der Länder mit dem am wenigsten eingeschränkten Internetzugang. Für die Studie wurden Zugangsbeschränkungen, gesperrte Inhalte und mögliche Verletzungen der Nutzerrechte bewertet. Am schlechtesten schnitt hierbei China ab.

Daten von Nordkorea gibt es in der Studie nicht. Gleiches gilt für andere Untersuchungen. Auch in den Transparenzberichten der Onlineplattformen, etwa dem Google-Transparenzbericht, tauchen Angaben zu gelöschten oder zensierten Beiträgen in Nordkorea nicht auf. Das liegt daran, dass weite Teile des Internets dort überhaupt nicht zu erreichen sind, darunter auch Facebook, Youtube und Twitter.

«Mit der Situation in China oder Nordkorea ist die Rechtslage in Deutschland in keiner Weise zu vergleichen», erklärt der Jurist und Vorsitzende der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), Ulf Buermeyer, der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage. Während in Nordkorea diese Plattformen und damit alle darauf verfügbaren Inhalte gesperrt seien, seien in Deutschland nur einzelne Inhalte gesperrt.

Diese einzelnen Inhalte werden aber im Nachhinein und nahezu immer von den Netzwerken selbst unzugänglich gemacht - und zwar wenn die Beiträge gegen Nutzungsbedingungen oder geltendes Recht verstoßen. In Deutschland ist beispielsweise das Zeigen bestimmter nationalsozialistischer Symbole verboten. Behörden und Gerichte können das Löschen etwa solcher strafbarer Inhalte anordnen.

Das ist jedoch - im rechtlichen Sinne - keine Zensur. «"Zensur" im Sinne des Grundgesetzes liegt nur dann vor, wenn eine staatliche Stelle die Veröffentlichung eines Inhalts verhindert», erklärt Buermeyer. «Wenn an eine Äußerung im Nachhinein eine Sanktion geknüpft wird, beispielsweise weil die Äußerung strafbar ist, liegt schon keine Zensur vor, möglicherweise aber ein Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit.»

In diesen Fällen gibt es in Deutschland, anders als in Nordkorea, einen juristischen Hebel: Bei Streitigkeiten über die Zulässigkeit von Meinungsäußerungen steht ein unabhängiges Gerichtssystem zur Verfügung. Das gehe bis hin zum Bundesverfassungsgericht, das sich seit Jahrzehnten ausgesprochen meinungsfreundlich zeige, so Jurist und Grundrechtsaktivist Buermeyer.

Es ist richtig, dass in Deutschland Bücher und Internet-Videos auf dem Index stehen. Das bedeutet schlicht, dass die Inhalte als jugendgefährdend eingestuft werden. In Deutschland gilt dies unter anderem für 5763 Online-Angebote und 394 Printmedien (Stand: 31. Juli 2020). Es handelt sich dabei allerdings nicht um ein generelles Verbot des jeweiligen Mediums, sondern um Verbreitungsbeschränkungen oder -verbote. So soll verhindert werden, dass Jugendliche unter 18 Jahren damit in Berührung kommen.

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Links:

Facebook-Post: https://www.facebook.com/photo/?fbid=1957343461069783&set=gm.2863871697180978 (archiviert: https://archive.vn/mUOvZ)

Freedom-House-Studie «Freedom on the Net»: https://www.freedomonthenet.org/sites/default/files/2019-11/11042019_Report_FH_FOTN_2019_final_Public_Download.pdf

Google-Transparenzbericht: https://transparencyreport.google.com/

Google-Transparenzbericht - Inhalte, deren Entfernung durch Behörden und Gerichte beantragt wurde: https://transparencyreport.google.com/government-removals/by-country/DE?hl=de&country_item_amount=group_by:products;period:;authority:DE&lu=country_item_amount (archiviert: https://archive.vn/4vH2F)

Indizierungen: https://www.bundespruefstelle.de/bpjm/service/statistiken

Aufgaben der Bundesprüfstelle: https://www.bundespruefstelle.de/bpjm/ueberuns/aufgaben

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