Arktis-Expedition endete schon 2016 - Eis schrumpft weiter
8.9.2020, 11:49 (CEST)
«Nordpol-Expedition will "globale Erwärmung" beweisen und bleibt im Eis stecken», berichtet ein Artikel im Netz. Das Schiff der «Polar Ocean Challenge» sitze mitsamt seiner Besatzung «gegenwärtig» in der russischen Hafenstadt Murmansk fest, heißt es in dem 2019 publizierten Text. Die Expedition sei also «an der Wirklichkeit» gescheitert.
BEWERTUNG: Das Schiff musste wegen vereister See einige Tage in dem russischen Hafen bleiben - allerdings nicht 2019, sondern bereits 2016. Die Crew hat ihr Ziel, den Nordpol binnen weniger Monate zu umrunden, erreicht. Wissenschaftler lassen keinen Zweifel daran, dass das Meereis in der Arktis immer weiter schrumpft.
FAKTEN: Tatsächlich waren die Teilnehmer der Expedition «Polar Ocean Challenge» von Juni bis Oktober 2016 unterwegs. Ziel war es, sowohl die Nordost- wie auch die Nordwestpassage durch den arktischen Ozean innerhalb von rund vier Monaten zu durchqueren und damit auf die Folgen des Klimawandels in der Arktis hinzuweisen. Noch in den 1980er Jahren war eine wesentlich größere Fläche des arktischen Ozeans mit Eis bedeckt als heute.
Wie die saisonale Ausdehnung des Meereises seit Beginn der Satellitenmessungen 1979 immer weiter zurückgeht, verdeutlicht diese Grafik des Alfred-Wegener-Instituts in Bremen. Das Eis der Arktis erreicht gewöhnlich im März seine größte und im September die geringste Ausdehnung. Im September 2019 zum Beispiel wurde nach Angaben des Instituts die zweitgeringste Ausdehnung des arktischen Eises seit 1979 gemessen.
«Im Zuge der globalen Erderwärmung hat das Meereis in den letzten Jahrzehnten bereits rapide an Fläche verloren», berichten die Klimaforscher der Universität Hamburg. «Für die Natur sind die Folgen problematisch: Die Meereisdecke ist Jagdrevier und unverzichtbarer Lebensraum zum Beispiel für Eisbären und Robben. Gleichzeitig spielt das Meereis eine wichtige Rolle im Klimasystem, weil seine helle Oberfläche das Sonnenlicht reflektiert und so die Arktis kühlt.»
Bis zum Jahr 2050 wird der Nordpol nach Berechnung der Hamburger Wissenschaftler zumindest in einigen Sommern sogar gänzlich eisfrei sein - selbst wenn der Klimaschutz verbessert würde.
Dennoch behauptet der Online-Artikel, die Expedition habe ihr Ziel, auf die Folgen des Klimawandels hinzuweisen, nicht erreicht. Denn schließlich habe das Schiff ja mehrere Tage im Eis festgesessen. Tatsächlich ging es der Besatzung jedoch darum, den Nordpol in nur wenigen Monaten zu umrunden, um zu zeigen, wie schiffbar die einst deutlich stärker vereiste Route nun ist. Dass die Crew unterwegs auf Eis treffen könnte, das die Weiterfahrt verzögern würde, wurde von Anfang an in der Planung bedacht.
Zwar sei der Juli 2016 in der Arktis kälter und stürmischer als in anderen Jahren gewesen, berichtet dazu das Nationale Schnee- und Eisdatenzentrum der Universität Colorado (USA). Am langfristigen Trend ändere das jedoch nichts: Den Berechnungen der US-Forscher zufolge schrumpft das arktische Eis durchschnittlich um etwa 77 000 Quadratkilometer pro Jahr.
Weltweit warnen Forscher seit Langem, dass das Meereis in der Region immer weiter zurückgeht. «Nirgendwo macht sich der Klimawandel so deutlich bemerkbar wie in der Arktis», heißt es etwa beim Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. «In den vergangenen 35 Jahren haben sich Fläche und Dicke des arktischen Meereises im Sommer etwa halbiert», betont Klimaforscher Dirk Notz.
Irreführend ist auch die zeitliche Einordnung des Artikels im Netz: Der am 13. Oktober 2019 erschienene Text vermittelt den Eindruck, als handele es sich um ein aktuelles Projekt. Zu diesem Zeitpunkt aber war die Expedition längst beendet, das Schiff mit seiner Crew bereits im Oktober 2016 nach Bristol in Großbritannien zurückgekehrt.
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Links:
Beitrag:
https://zuspiel.info/2019/10/13/dumm-gelaufen-nordpol-expedition-will-globale-erwarmung-beweisen-und-bleibt-im-eis-stecken/?fbclid=IwAR1lI7TtCz4UyBj3DW5x8eYDwPSEKUuFnWHUS8vloeo7xqCZlSdbMyVD-pk
(archiviert: http://dpaq.de/Id6zP)
Expedition «Polar Ocean Challenge» (archiviert): http://dpaq.de/QNiDQ
Teilnehmer der Expedition: https://wickedweatherwatch.org.uk/the-arctic/the-polar-ocean-challenge/the-crew/ (archiviert: http://dpaq.de/uCCen)
Blog-Eintrag der Besatzung (archiviert): https://web.archive.org/web/20161029180451/http://polarocean.co.uk:80/two-problems-solid-ice-red-tape/
Rückkehr nach Bristol:
https://wickedweatherwatch.org.uk/the-arctic/the-polar-ocean-challenge (archiviert: http://dpaq.de/pKRgy)
Planung der Route aus dem März 2016 (archiviert): https://web.archive.org/web/20160329131915/http://polarocean.co.uk/calendar/
Alfred-Wegener-Institut zu Schiffspassagen: https://www.meereisportal.de/de/archiv/2018-kurzmeldungen-gesamttexte/beschiffbarkeit/ (archiviert: http://dpaq.de/HAaVS)
Alfred-Wegener-Institut zu Meereisminima und -maxima: https://www.meereisportal.de/archiv/2020-kurzmeldungen-gesamttexte/moderate-eisbedingungen/
Alfred-Wegener-Institut zum Meereis im September 2019:
https://www.awi.de/ueber-uns/service/presse-detailansicht/presse/geringe-meereisbedeckung-in-der-arktis.html (archiviert: http://dpaq.de/Os9th)
Pressemitteilung der Uni Hamburg zum Nordpol (archiviert): https://web.archive.org/web/20200525234119/https://www.cen.uni-hamburg.de/about-cen/news/11-news-2020/2020-04-20-sea-ice-notz.html
Max-Planck-Institut zum Meereis: https://www.mpg.de/10618497/W004_Ozeane_Meereis_032_039.pdf
NSIDC zum arktischen Eis: http://nsidc.org/arcticseaicenews/2020/09/tapping-the-brakes/ (archiviert: http://dpaq.de/4J3R8)
NSIDC zum Juli 2016:
http://nsidc.org/arcticseaicenews/2016/08/a-cool-and-stormy-arctic-in-july/ (archiviert: http://dpaq.de/so9jr)
BBC zur Expedition: https://www.bbc.com/news/science-environment-37351271 (archiviert: http://dpaq.de/LeuRi)
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