Kein Beleg für angebliches Özdemir-Zitat über 1683

25.8.2020, 14:24 (CEST)

Im Internet kursiert ein Bild mit einem vermeintlichen Zitat von Cem Özdemir. Dem Grünen-Politiker werden dabei ähnliche Invasionsgedanken wie den Osmanen im 17. Jahrhundert unterstellt. Diese hatten auf ihrem Feldzug Richtung Westen versucht, die Stadt Wien zu erobern - ohne Erfolg. Özdemir soll sich darauf berufen und gesagt haben: «Was unsere Urväter 1683 mit Feuer und Schwert vor den Toren Wiens nicht geschafft haben, werden wir mit unserem Verstand schaffen.»

BEWERTUNG: Der Politiker bestreitet, diesen Satz jemals gesagt zu haben. Er hat die Aussage schon vor mehr als 20 Jahren dementiert.

FAKTEN: Cem Özdemir dementiert diese Aussage auf seiner Webseite. Er listet sie dort in der Rubrik «Dichtung und Wahrheit» auf. Diese hat er eigens eingerichtet für derartige Aussagen, die im Internet kursieren und ihm fälschlicherweise zugeschrieben werden. Er nennt dort weitere Beispiele, wonach ihm wiederholt unterstellt wird, er strebe eine Islamisierung Deutschlands an.

Die Aussage bezieht sich auf die Belagerung Wiens im Jahr 1683, bei der das osmanische Heer erfolglos versucht hatte, die Stadt einzunehmen.

Bei dem falschen Zitat handelt es sich um einen alten Hut: Es geht zurück auf einen Bericht der türkischsprachigen Zeitung «Hürriyet» von 1998. Dazu hatte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 8. September 1998 eine Pressemitteilung verschickt. Der Vergleich mit dem Eroberungsfeldzug des osmanischen Reiches, der vor Wien zum Erliegen kam, sei «eine plumpe Anbiederung an nationalistische türkische Gefühle», kommentierte der damalige außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Karl Lamers, den Bericht.

Özdemir soll den Satz damals als Wahlaufruf an türkisch-stämmige Bürger in Deutschland mit Blick auf die Bundestagswahl am 27. September 1998 gesagt haben. Dies wurde in verschiedenen deutschen Medien aufgegriffen. Der Satz kursiert seitdem in dieser und ähnlicher Form im Internet.

Özdemir hatte dies bereits in einem Leserbrief richtiggestellt, der am 26. September 1998 im «Focus» erschien. Das Magazin hatte die vermeintliche Aussage zuvor ebenfalls verbreitet. Im Leserbrief beklagte er, dass er «öfter zur Zielperson der "Hürriyet"» werde, «weil ich mich nicht vor deren nationalistischen Karren spannen lasse». Nach einem Medienbericht hatte die Zeitung zuvor eine Hetzkampagne gegen den Politiker gestartet und ihn als «Landesverräter» diffamiert.

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Links:

Beitrag: https://www.facebook.com/groups/1767079876860171/permalink/2845444742357007/ (archiviert: http://archive.vn/W7OuK)

Homepage von Cem Özdemir - Rubrik «Dichtung und Wahrheit»: https://www.oezdemir.de/dichtung_und_wahrheit/ (archiviert: http://archive.vn/zm6Sr)

Positionen von Cem Özdemir zum Thema Integrationspolitik: https://www.oezdemir.de/themen/grundsatzrede-integrationspolitik/

«Welt»-Artikel vom 10.9.1998 mit Zitat aus Pressemitteilung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: https://www.welt.de/print-welt/article630378/Koalition-veraergert-ueber-Tuerkei.html (archiviert: http://archive.vn/KzEWu)

«Focus»-Artikel vom 14.9.1998: https://www.focus.de/politik/deutschland/deutschtuerken-abfuhr-fuer-die-koalition_aid_175053.html (http://archive.vn/iprX5)

«taz»-Interview zum Verhältnis von «Hürriyet» und Özdemir: https://taz.de/!1335695/ (archiviert: https://archive.vn/Oci4O)

Portrait der «Süddeutschen Zeitung»: https://www.sueddeutsche.de/politik/gruenen-chef-cem-oezdemir-anatolisch-wertkonservativer-schwabe-1.1794611 (archiviert: https://archive.vn/ooJoJ)

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