Warnung vor Grippe-Impfung für Kinder in Österreich stellt mehrere falsche Behauptungen auf

21.7.2020, 11:49 (CEST)

Ein auf Facebook geteilter Text warnt vor der kommenden Grippe-Impfung für Kinder in Österreich (http://archive.is/6SCOK). Laut den Angaben einer anonymen ehemaligen «Mitarbeiterin eines führenden Pharmakonzerns» sei geplant, ab Herbst alle Kinder mit einem Nasenspray gegen die Grippe zu impfen, heißt es darin. Dieses Spray enthalte «gentechnisch veränderte Bestandteile». «Abgesehen von mehreren toxischen Stoffen» seien zudem «Zellen von Affen und Hunden (Cockerspaniel)» enthalten. Zudem soll es einen Beipackzettel mit abweichenden Informationen über noch mehr Bestandteile geben.

BEWERTUNG: Der Text stellt mehrere falsche Behauptungen auf. Die Impfung ist ein freiwilliges Angebot und limitiert. Das angedachte Nasenspray ist überprüft und laut Experten unbedenklich. Es enthält weder tierische Zellen noch in der vorhergesehenen Dosierung bedenkliche Stoffe. Die enthaltenen und zur Immunisierung erforderlichen Viren sind genetisch modifiziert. Die verlinkte Gebrauchsinformation entspricht der dem Medikament beiliegenden Gebrauchsinformation der Grippesaison 2019/20.

FAKTEN: Österreichs Gesundheitsminister Rudolf Anschober schrieb am 30. Juni in einem Facebook-Post, dass die Grippeimpfung für Kinder in der kommenden Saison in das kostenlose Kinderimpfprogramm aufgenommen werde (http://dpaq.de/E6l2F). Eine Impfung per Nasenspray sei für Kinder, die als Hauptverbreiter der Influenza gelten würden, besonders schonend.

Auf eine gemeinsame Anfrage der Deutschen Presse-Agentur und der APA - Austria Presse Agentur bestätigte das österreichische Gesundheitsministerium, dass die Inanspruchnahme dieses Angebots sowie die Inanspruchnahme aller anderen Impfungen des kostenlosen Kinderimpfprogrammes freiwillig seien. Die Grippe-Impfung stehe in einer begrenzten Menge zur Verfügung. Vorgesehen sei dafür das «Fluenz Tetra Nasenspray».

Es handle sich laut österreichischem Gesundheitsministerium um einen überprüften Impfstoff, da nur Impfstoffe für die Anwendung zugelassen würden, die über ein «positives Nutzen-Risiko-Profil» verfügen. Verminderter Appetit, verstopfte oder laufende Nase und Unwohlsein seien die häufigsten beobachteten Nebenwirkungen des Nasensprays. Aufgrund möglicher Nebenwirkungen sei der Impfstoff erst ab einem Alter von 24 Monaten zugelassen.

Laut Gesundheitsministerium können die für die Bewertung herangezogenen Informationen zu Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffes der beiliegenden Fachinformation entnommen werden. Diese ist etwa auf der Website «Patienteninfo-Service» online einzusehen (http://dpaq.de/arhtT). Auch der virale Text verweist auf diese Seite. Es wird allerdings behauptet, dass die erwähnte anonyme Quelle einen anderen Beipackzettel vorlegen konnte, auf dem noch mehr enthaltene Stoffe stünden als in dem online abrufbaren Dokument.

Für das Hochladen der Gebrauchsinformationen zu Medikamenten auf dieser Seite verantwortlich ist die Rote Liste Service GmbH. Auf eine Anfrage erklärte deren Prokurist Martin Kober, dass die teilnehmenden pharmazeutischen Unternehmen ihre aktuellen Gebrauchsinformationen zur Verfügung stellen. Er leitete dem Faktencheck-Team eine E-Mail weiter, in der das für den Nasenspray verantwortliche pharmazeutische Unternehmen AstraZeneca versichert, dass die online abrufbare Gebrauchsinformation von «Fluenz Tetra» dem tatsächlichen Beipackzettel der Impfsaison 2019/2020 entspricht.

Dass in der Fachinformation und der Gebrauchsinformation auch alle Wirkstoffe und Bestandteile angegeben sind, versicherte auf Nachfrage auch Karin Storzer, Sprecherin von AstraZeneca Österreich. Auch die enthaltenen genetisch veränderten Organismen seien darin enthalten. «Dies sind die Influenzaviren, die lebend-attenuiert sind. Sie sind also dahingehend genetisch modifiziert, dass sie keine influenza-typischen Krankheitssymptome auslösen und sich kaum bei Körpertemperatur vermehren können», so Storzer. Sie können aber dennoch zu einer Immunisierung führen.

Das Nasenspray enthalte weder pflanzliche noch tierische Zellen. Somit seien auch keine Zellen von Affen, Hunden oder sonstigen Organismen enthalten. Keiner der verwendeten Bestandteile sei in der «verwendeten Dosierung» toxisch.

Auch Michael Freissmuth, Leiter des Zentrums für Physiologie und Pharmakologie an der Medizinischen Universität Wien, gab auf Anfrage der APA und der dpa Entwarnung hinsichtlich der Risiken des Medikaments.

Der Wirkstoff enthalte abgeschwächte Viren von vier Stämmen. Diese seien anfällig gegen Hitze und würden bei Körpertemperatur rasch inaktiviert. Angesprochen auf die im Text behauptete «gentechnische Herstellung» erklärte Freissmuth, dass die Viren in Zellkultur «reassortiert» - also genetisch verändert - werden, damit gezielt «Gensegmente vom Wildtypvirus in das Genom des abgeschwächten Virus aufgenommen werden». Der Impfstoff selbst habe aber keinen Kontakt zur Zellkultur. Außerdem würden die hierfür verwendeten sogenannten Vero-Zellen nicht von Hunden, sondern von Meerkatzen stammen, die eine Primatengattung darstellen.

Hergestellt wird der Impfstoff laut Freissmuth in Hühnereiern. Deshalb könne höchstens Ovalbumin, das Protein im Eiklar, in Spuren vorhanden sein. Ovalbumin könne über die Nase aber nicht ins Hirn oder ins Blut gelangen. Es gebe darüber hinaus auch keinen Grund anzunehmen, dass Proteine im Gehirn nicht abgebaut werden können. In einigen Facebook-Posts wurde davor gewarnt, dass die verabreichten Bestandteile «oberhalb der Blut-Hirn-Schranke» nicht ausgeschieden, bekämpft oder verarbeitet werden könnten.

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Links:

Beitrag auf Facebook: https://www.facebook.com/groups/224630658188929/permalink/612869476031710/ (archiviert: http://archive.is/6SCOK)

Post von Österreichs Gesundheitsminister Anschober auf Facebook: https://www.facebook.com/rudianschober/photos/a.262207043815533/3104394746263401/?type=3 (archiviert: http://archive.is/ViAa4)

Patienteninfo-Service: https://www.patienteninfo-service.de/a-z-liste/f/fluenzR-tetra-nasenspray-suspension/ (archiviert: http://archive.is/73Iry)

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