Trittins Vater hat SS-Vergangenheit - Soros sowie Ahnen von Schulz und von der Leyen nicht

22.07.2020, 19:59 (CEST)

In einem Post bei Facebook wird behauptet, der US-Milliardär George Soros sowie die Ahnen der deutschen Politiker Jürgen Trittin und Martin Schulz seien während der NS-Diktatur Mitglieder der Schutzstaffel (SS) gewesen. Angedeutet wird, dass auch Ursula von der Leyens Großvater oder Vater Mitglied der SS gewesen sein könnten. Auch Linken-Politiker Oskar Lafontaine habe sich zum Thema geäußert. Das Fazit des Beitrags: «Die ganze Bundesregierung in Bonn ist Nazi verseucht [sic!]» (http://archive.vn/O0ELb).

BEWERTUNG: Jürgen Trittins Vater war bei der SS. Bei allen anderen finden sich keine Belege für eine Mitgliedschaft.

FAKTEN: Klaus Trittin, Vater des Grünen-Politikers Jürgen Trittin, wurde 1923 geboren und meldete sich 1941 freiwillig bei der Waffen-SS. Es ist der militärische Zweig der SS, verantwortlich für viele Verbrechen an der Zivilbevölkerung während des Krieges (http://archive.vn/PueL6). Aus seiner SS-Vergangenheit machte Trittin – wie aus einem «Stern»-Bericht aus dem Jahr 2012 hervorgeht – nie ein Geheimnis. Er sprach offen darüber und zeigte seinen Kindern später voller Reue ein Konzentrationslager (http://dpaq.de/OVD1b).

George Soros hingegen, 1930 in Ungarn geboren, ist nicht Verantwortlicher, sondern Opfer des Nationalsozialismus. Als die Wehrmacht im März 1944 sein Heimatland besetzte, gelang es Soros' Vater, seine jüdische Familie mit falschen Identitäten auszustatten und so vor der Deportation zu retten (http://archive.vn/d09Uf). 

Es findet sich kein Beleg für die bei Facebook verbreitete Behauptung, Soros sei in jener Zeit Mitglied der Waffen-SS gewesen. Auch Experten deutscher Archive und Forschungsstellen zum Thema NS-Verbrechen erklären auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa), dass dies sehr unwahrscheinlich sei.

Angela Hermann, Historikerin am NS-Dokumentationszentrum München, und Thomas Menzel, Referatsleiter der Abteilung Militärarchiv des Bundesarchivs, weisen vor allem darauf hin, dass Soros' junges Alter gegen eine SS-Mitgliedschaft spreche.

Zwar sei mit einem Erlass vom 23. Mai 1944 das Mindestalter auf 16 Jahre gesenkt worden. Denkbar auch, so Herrmann, dass gegen Kriegsende Jüngere illegal rekrutiert wurden oder freiwillig ihren Dienst antraten. Dennoch, fügt Menzel hinzu, seien die Voraussetzungen erheblich gewesen: Für eine tatsächliche Einstellung mussten sich die Bewerber offiziell registrieren lassen und einen dreimonatigen Reichsarbeitsdienst ableisten.

Angelika Nawroth vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in Potsdam erläutert außerdem: In besetzten Ländern seien, so der bisherige Forschungsstand, keine Minderjährigen für die Waffen-SS eingesetzt worden. Auch dies spreche gegen eine SS-Zugehörigkeit von Soros.

Anknüpfend an die antijüdische NS-Propaganda wird dem mittlerweile 89-Jährigen immer wieder vor allem aus rechtsradikalen Kreisen Verrat vorgeworfen: Er habe jüdische Mitbürger an die Nazis ausgeliefert (http://archive.vn/36xzn).

Der Großvater der amtierenden EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist der 1902 geborene Karl (teils auch: Carl) Eduard Albrecht; er entstammt einer einflussreichen norddeutschen Familie (http://archive.vn/ocgKY). Albrecht studierte in den 1920er Jahren Medizin und arbeitete auch zu Kriegszeiten als Arzt. Belege für eine SS-Mitgliedschaft gibt es nicht - weder für ihn noch für seinen Sohn, Ursula von der Leyens Vater Ernst Albrecht, der seinerzeit noch im Jugendalter war (http://archive.vn/oY7Lg). Allerdings gab es einen namensgleichen SS-Mann. Dieser Karl Albrecht wurde nach Kriegsende wegen Verbrechen im Zweiglager Gusen des KZ Mauthausen angeklagt und zu lebenslanger Haft verurteilt (http://dpaq.de/wd6gB, http://dpaq.de/nHwFB).

Der Vater des einstigen SPD-Vorsitzenden Martin Schulz heißt - wie der Politiker der dpa über einen Sprecher mitteilen lässt - Jakob Albert Schulz. Dieser arbeitete als Polizist und sympathisierte mit der SPD (http://dpaq.de/Tl2RNhttp://dpaq.de/jIYSs). In einer Biografie über Martin Schulz, an der dieser selbst mitwirkte, ist nachzulesen, dass sein Vater bei Kriegsbeginn zum Dienst für die Wehrmacht eingezogen wurde, dass er anfangs in Frankreich, später an der Ostfront kämpfen musste. Nach Kriegsende sei ihm ein Entnazifizierungsprozess erspart geblieben, weil Jakob Albert Schulz nie Mitglied der NSDAP gewesen war (http://dpaq.de/PUOku). Nirgends findet sich ein Hinweis darauf, dass Schulz' Vater SS-Mitglied war.

Möglicherweise kam es auch hier wegen Nachnamensgleichheit zu einer Verwechslung. So verantwortete etwa ein SS-Hauptsturmführer namens Karl Schulz Verbrechen im Konzentrationslager Mauthausen (http://dpaq.de/MFdMo). Dieser Schulz ist jedoch nicht der Vater des SPD-Politikers.

Warum im Post nebulös auch auf «die Aussage von Lafontaine» hingewiesen wird, kann nur gemutmaßt werden. 2013 legte die Linken-Fraktion im Saarland eine Studie zur NS-Vergangenheit saarländischer Abgeordneter vor. Oskar Lafontaine, Fraktionsvorsitzender der Saar-Linken, schrieb das Vorwort und notierte darin, dass er bei seinem Eintritt in den Landtag 1970 nicht gewusst habe, wie viele seiner Abgeordnetenkollegen einst NSDAP-Mitglieder gewesen waren (http://dpaq.de/AlbDq). George Soros oder die Namen der im Facebook-Beitrag genannten Politiker-Ahnen finden sich nicht in der Arbeit.

Der Facebook-Post ist flankiert von einem Foto der Titelseite der «Süddeutschen Zeitung», die am 1. Oktober 1946 erschien. Das Titelthema: der Urteilsspruch im «Nürnberger Prozess». Mitglieder der NS-Elite waren darin zahlloser Kriegsverbrechen angeklagt, zwölf von ihnen zur Todesstrafe verurteilt worden (http://archive.vn/EKslU). Doch auch unter den Angeklagten, die auf der Titelseite abgebildet und aufgelistet sind, tauchen weder George Soros noch ein Vorfahr der bei Facebook genannten Politiker auf.

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Links:

Beitrag auf Facebook: https://www.facebook.com/photo.php?fbid=1733333393369907&set=a.279952078708053&type=3&theater (archiviert: http://archive.vn/O0ELb)

Informationen über Waffen-SS: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/kriegsverlauf/waffen-ss.html (archiviert: http://archive.vn/PueL6)

Bericht über Klaus Trittin im «Stern»: https://www.stern.de/politik/deutschland/gruenen-spitzenkandidat-trittins-vater-war-bei-waffen-ss-3574522.html (archiviert: http://dpaq.de/OVD1b)

Porträt George Soros in «New York Times«: https://www.nytimes.com/2018/07/17/magazine/george-soros-democrat-open-society.html (archiviert: http://archive.vn/d09Uf)

Porträt George Soros in «Die Zeit»: https://www.zeit.de/wirtschaft/2017-10/george-soros-ungarn-usa/komplettansicht (archiviert: http://archive.vn/36xzn)

Eintrag Familie Albrecht in «Deutsches Geschlechterbuch»: https://archive.org/stream/deutschesgeschle17koer#page/96/mode/2up (archiviert: http://archive.vn/ocgKY)

Erwähnung der Albrecht-Familie in «Hannover - Ein deutsches Machtzentrum» (auf Vorschau-Text klicken): http://dpaq.de/lT8CZ (archiviert: http://archive.vn/oY7Lg)

Gerichtsdaten Karl Albrecht: https://www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/Holocaust/dachautrial/13.pdf (archiviert: http://dpaq.de/wd6gB)

Angaben zu Albrecht im KZ Mauthausen: https://www.archives.gov/files/publications/ref-info-papers/rip115.pdf#page=131

Eintrag Martin Schulz im «Munzinger Archiv»: https://www.munzinger.de/search/portrait/Martin+Schulz/0/24936.html (archiviert: http://dpaq.de/Tl2RN)

Buchstellen zu Kriegsvergangenheit von Martin Schulz' Vater in «Verstehen Sie Schulz»: http://dpaq.de/CJGnQ

Buchstelle zu NSDAP-Mitgliedschaft von Martin Schulz' Vater in «Verstehen Sie Schulz»: http://dpaq.de/PUOku

Biografische Informationen zu Karl Schulz in Dokumentation zu Mauthausen: http://dpaq.de/MFdMo

Studie zur NS-Vergangenheit saarländischer Abgeordneter: http://www.linksfraktion-saarland.de/fileadmin/fraktion/Download/Braunes%20Erbe.pdf (archiviert: http://dpaq.de/AlbDq)

Angaben zu Nürnberger Urteilen des Museums «Memorium Nürnberger Prozesse»: https://museen.nuernberg.de/memorium-nuernberger-prozesse/themen/die-nuernberger-prozesse/der-internationale-militaergerichtshof-1945-1946/die-urteile/ (archiviert: http://archive.is/AI8na)

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