Rede falsch interpretiert

Deutscher Kanzler Scholz will mehr Schulden aufnehmen

27.2.2025, 14:53 (CET)

US-Präsident Donald Trump sorgt mit seiner Ukraine-Politik für Unruhe bei Europas Regierenden. Dass der deutsche Bundeskanzler deshalb scharfe Maßnahmen treffen will, ist jedoch eine Unterstellung.

Mehrere Äußerungen von US-Regierungsmitgliedern haben in den vergangenen Woche für Diskussionen in Europas Hauptstädten gesorgt. Berlin stellt da keine Ausnahme dar. Auf Facebook (zum Beispiel hier, hier und hier) wird nun verbreitet, dass der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz den Bundestag aufgefordert habe, aufgrund der neuen Außen- und Verteidigungspolitik der US-Regierung «unverzüglich den Ausnahmezustand» zu verhängen. Dies würde unter anderem die Einschränkungen von Grundrechten wie der Versammlungs- und Bewegungsfreiheit bedeuten. Aber stimmt das wirklich?

Bewertung

Die Behauptung ist falsch. Scholz hat dies nicht gesagt. Der Videoausschnitt, der die Aussage belegen soll, stammt aus einer Rede des Bundeskanzlers, in der er sich mit Blick auf die deutschen Verteidigungsausgaben dafür aussprach, eine Haushaltsnotlage auszurufen, um mehr Schulden aufnehmen zu können. Diese wurde bisher vom Bundestag nicht beschlossen.

Fakten

Das deutsche Grundgesetz sieht einen «Ausnahmezustand» nicht vor. Im Grundgesetz garantierte Freiheiten wie etwa das Recht auf Freizügigkeit und die Versammlungsfreiheit können zwar durch Gesetze eingeschränkt werden. Als mögliche Anlässe gelten laut Artikel 11 zur Freizügigkeit zum Beispiel Naturkatastrophen oder «drohende Gefahren» für die Bundesrepublik. Eine allgemeine Regelung, um derartige Einschränkungen durch einen «Ausnahmezustand» durchzusetzen, fehlt im Grundgesetz.

Bundeskanzler Scholz hat in seiner Rede am 13. Februar weder einen Ausnahmezustand noch Grundrechtseinschränkungen gefordert, wie ein Video seines Statements belegt. Vielmehr forderte der SPD-Politiker darin, dass der Bundestag eine «Notlage im Sinne des Artikel 115 Absatz 2 des Grundgesetzes» beschließen solle.

Dieser Grundgesetz-Artikel beinhaltet die 2009 von Union und SPD beschlossene Schuldenbremse, die die Aufnahme von Schulden auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes begrenzt. «Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notlagen» können Ausnahmen gemacht werden.

Scholz sieht Deutschland in einer finanziellen Notlage

Scholz zufolge stellen «der Krieg in der Ukraine und seine schwerwiegenden Folgen für die Sicherheit Deutschlands und Europas» eine finanzielle Notlage dar, unter anderem wegen der gestiegenen deutschen Verteidigungsausgaben und der Unterstützungsleistungen für die Ukraine.

Um eine Notlage festzustellen, ist eine Mehrheit im Deutschen Bundestag notwendig. Eine Notlage wurde zum Beispiel im Jahr 2022 mit der Corona-Pandemie und den Auswirkungen des russischen Angriffs auf die Ukraine begründet.

Der Bundestag in Berlin ist jedoch bereits am 11. Februar zu seiner letzten Sitzung in der laufenden Legislaturperiode zusammengekommen. Erst das am 23. Februar neu gewählte Parlament wird bewerten können, ob eine Notlage vorliegt. Die Regierungsbildung ist derzeit im Gange. CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hielt sich zur Finanzierung von Verteidigungsausgaben vor der Wahl bedeckt. In mehreren deutschen Parteien gibt es aber Überlegungen, die Schuldenbremse generell zu reformieren.

Ein Fall von Desinformation liegt nahe

Mehrere Faktenchecker, darunter das Team der AFP und von Euronews, sind ebenfalls zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei dem Inhalt der Facebook-Postings um eine Falschbehauptung handelt. Deren Ursprung könnte, wie häufig bei Weltpolitik betreffenden Fehlinformationen, im russischsprachigen Desinformationsnetzwerk «Pravda» liegen. Von dort aus führen die Spuren weiter nach Russland.

Als Quelle des «Pravda»-Artikels wird die Moskauer Zeitung «Komsomolskaja Prawda» genannt, die laut ihrer Homepage finanzielle Unterstützung der russischen Regierung erhält. Auch auf einem Facebook-Account mit dem deutschen Namen «Ministerium der russischen Luftstreitkräfte» ist die Behauptung zu finden. Der im Intro angegebene Link führt aber nicht zu einer Seite der russischen Regierung, sondern zu einem Telegram-Kanal mit dem Namen «InfoDefenseDEUTSCH».

Ähnliche Spuren verfolgten Faktenchecker von «Mimikama». Sie stellten fest, dass die Behauptung vor allem in Telegram-Gruppen kursiert, was darauf schließen lasse, dass sie gezielt gestreut wurde.

Links

Facebook-Posting I (archiviert)  

Facebook-Posting II (archiviert

Facebook-Posting III (archiviert

Artikel 11 Grundgesetz (archiviert

Artikel 8 Grundgesetz (archiviert

bpb über Grundgesetz und «Ausnahmezustand» (archiviert

Scholz-Statement vom 13. Februar (archiviert

Artikel 115 Grundgesetz (archiviert

Reform im Jahr 2009 (archiviert

Beschluss des Bundestags im Jahr 2022 (archiviert

Merz zur Finanzierung der Verteidigungsausgaben (archiviert

Debatte über die Schuldenbremse (archiviert

AFP-Faktencheck (archiviert

Euronews-Faktencheck (archiviert

Artikel auf der Plattform «Pravda» (archiviert

Moskauer Zeitung «Komsomolskaja Prawda»

European Digital Media Observatory (EDMO) über Pravda (archiviert

Facebook-Posting vom «Ministerium der russischen Luftstreitkräfte» (archiviert

Faktencheck von Mimikama (archiviert)  

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