Pandemie

RKI-Zahlen zu Intensivbetten-Auslastung falsch interpretiert

27.9.2024, 12:15 (CEST)

Zu Beginn der Corona-Pandemie musste möglichst schnell gehandelt werden. Deutschland machte durch Priorisierung in kurzer Zeit viele Intensivbetten frei. Pandemie-Leugner verdrehen nun diese Tatsache.

Die Ergebnisprotokolle des Robert-Koch-Instituts (RKI) dokumentieren die Diskussionen des Covid-19-Krisenstabs von 2020 bis 2023. Dort berieten Experten regelmäßig zur Lage in Deutschland und der Welt. Die ursprünglich nur internen Protokolle wurden aufgrund des großen öffentlichen Interesses im Mai 2024 teilweise freigegeben. In einem Screenshot daraus sehen manche den Beleg dafür, dass es niemals eine Corona-Pandemie gab. 

Bewertung

Der vermeintliche Beweis ist keiner. Im Ausschnitt des Protokolls wird erklärt, dass Intensivbetten für Corona-Patienten freigemacht wurden. Dies gelang vor allem durch Priorisierung und Verschiebung planbarer Eingriffe. 

Fakten

Der Screenshot, der dem Artikel als Aufhänger dient, ist dem RKI-Protokoll einer Krisenstabssitzung vom 25. März 2020 entnommen. Er zählt Punkte aus dem «Divi-Notaufnahmeregister» auf. Diese ist ein Tool der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi). Es ist an der Stelle falsch benannt, der korrekte Name ist laut einer Pressesprecherin «Divi-Intensivregister». In späteren Protokollen wird das Tool richtig benannt (von 30. März 2020 an, pdf-S.486).

Der letzte im Screenshot angegebenen Punkt behandelt die Anzahl der freien und belegten Betten, die am 25. März in etwa gleich hoch gewesen sein sollen. Für manche ist das Beweis, dass es nie eine Pandemie gegeben habe. Immerhin lag die Bettenauslastung in Kliniken sonst bei rund 90 Prozent, so auch in Österreich

Große Anzahl an Betten verfügbar gemacht

Diese Überlegung ist allerdings ein Trugschluss. Denn wie dem Protokoll zu entnehmen ist, wurden damals in ganz Deutschland eigens für Corona-Patienten Intensivbetten freigemacht. Bei einer Krisenstabssitzung zwei Tage zuvor hieß es: «Frage, wie viele Intensivbetten routinemäßig belegt sind. Ca. 80% Belegung unter Normalbedingungen. Kann auf 50% durch Verschiebung elektiver Eingriffe erhöht werden.» (pdf-S.430)

Das wurde innerhalb kurzer Zeit umgesetzt, denn am erwähnten 25. März wurde bereits gemeldet: «Derzeit die Anzahl freie Betten/belegte Betten etwa gleich groß, d.h. viele Betten sind schon frei gemacht worden (normalerweise Anteil freier Betten <10%)» (pdf-S.452). Diese Momentaufnahme ist also als Teil eines Maßnahmenkataloges zu verstehen. Laut entsprechender Verordnung war die Meldung der Intensivbettenbelegung ab Mitte April 2020 für alle deutschen Krankenanstalten verpflichtend. 

Frühe Reaktion

Warum hieß es damals im Protokoll, dass Betten «schon freigemacht» wurden? Aus den Protokollen ist abzulesen, wie sich die Infektionslage zuspitzte: Italien zum Beispiel hatte große Gebiete im Norden - darunter zum Beispiel Bergamo - bereits ab dem 6. März 2020 abgeriegelt. Überfüllte Krankenhäuser und ein überfordertes Gesundheitssystem führten zu tragischen Zuständen, die weit über das hinausgingen, was bei gewöhnlichen Grippewellen beobachtet wird.

Genauso in China: Bereits im Protokoll vom 24. Januar 2020 (pdf-S.31) ist vermerkt, dass «Krankenhäuser in Wuhan überlastet» seien.

Jedes RKI-Sitzungsprotokoll beginnt mit der aktuellen nationalen und internationalen Lage, welche die fortschreitende Ausbreitung des Coronavirus dokumentiert. Aufgrund des rapiden Anstiegs der Fallzahlen und der Überforderung wie etwa in Bergamo sind in Deutschland diverse Vorkehrungen in Krankenhäusern getroffen worden (zum Beispiel im Protokoll vom 24. März, pdf-S.441), um einer möglichen Überlastung vorzubeugen.

In weiteren Sitzungsprotokollen wurden auch spätere Entwicklungen festgehalten, zum Beispiel heißt es am 21. April 2020: «Es wird von ~32-33.000 Betten ausgegangen, ca. 40% hiervon sind frei.» (pdf-S.674)

(Stand: 23.09.2024) 

Links

Veröffentlichung der RKI-Protokolle (archiviert

Blogbeitrag mit Falschbehauptung (archiviert

Ärzteblatt zu Verschiebung elektiver Eingriffe (archiviert

Gesammelte RKI-Protokolle bis April 2021 (archiviert

orf.at-Artikel zu Auslastung in Österreich (archiviert

Divi-Intensivregister-Verordnung (archiviert

«Tagesschau» vom 08.03.2020 zur Lage in Norditalien (archiviert

«SZ»-Artikel aus 2023 zu Bergamo (archiviert

Über dpa-Faktenchecks

Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.

Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.

Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an factcheck-oesterreich@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.

Schon gewusst?

Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.