Verdachtsfälle statt Tote

Papier mit nicht haltbaren Zahlen zu angeblichen Impfschäden im Umlauf

24.9.2024, 14:58 (CEST)

Dass jedermann Beschwerden nach einer Impfung melden kann, ist gut und wichtig. Problematisch kann es jedoch werden, wenn auf Basis dieser Meldungen anstatt bestätigter Fälle Forschung betrieben wird.

Ein Forschungspapier sorgte zuletzt für Stirnrunzeln unter Experten. Fast drei Prozent der Geimpften sollen demnach durch die Immunisierung zu Tode gekommen sein. Impfkritische Portale zitierten das Papier und sahen ihre propagierten Behauptungen darin bestätigt. Einer seriösen Überprüfung halten die Zahlen allerdings kaum stand.

Bewertung

Die verwendeten Daten stammen aus dem US-Nebenwirkungs-Meldeportal VAERS und sind für diese Art der Auswertung ungeeignet. Tatsächlich gibt es so gut wie keine nachweisbaren Todesfälle im Zusammenhang mit der Impfung gegen Covid-19.

Fakten

Die Studie aus Jordanien analysierte die Daten von Tausenden Geimpften aus den USA über die ersten zehn Wochen des Jahres 2021. Allerdings wurde dabei auf Zahlen aus der öffentlich einsehbaren VAERS-Meldedatenbank zurückgegriffen. Über das gemeinsame «Vaccine Adverse Event Reporting System» des «Center for Disease Control and Prevention» (CDC) und der «Food and Drug Administration» (FDA) kann jedermann in den USA Impfnebenwirkungen angeben.

Diese Zahlen sagen allerdings nichts über tatsächlich nachgewiesene Nebenwirkungen oder Folgeerkrankungen aus. Deren Anzahl liegt deutlich darunter. Einer globalen Übersichtsstudie zufolge verstarben 0,04 Prozent der Geimpften zwei bis sechs Monate nach der Impfung. Da dieser Wert in einer parallel ausgewerteten, nicht gegen das Coronavirus geimpften Gruppe bei 0,06 Prozent lag, war ein kausaler Zusammenhang mit der Corona-Impfung nicht nachweisbar.

Verdachtsfälle als Grundlage, KI-Experten als Autoren

Immer wieder werden VAERS-Daten von Impfkritikern zur Begründung vermeintlicher Tatsachen herangezogen. Dass das Papier auf Zahlen aus VAERS zurückgriff, bestätigte dessen Autorin Nadia Al-Rousan der dpa auf Anfrage. Sie verteidigte zugleich ihre Forschungsergebnisse und nannte die von ihr errechnete Sterblichkeitsrate von 2,9 Prozent «akzeptabel». Al-Rousan ist allerdings keine Medizinerin. Wie ihr Forschungspartner Hazem Al-Najjar hat sie ihren Doktortitel auf technischem Gebiet mit Schwerpunkt KI erlangt.

Nicht nur die Datenquelle lässt das Papier unseriös erscheinen, auch die Verwendung von Daten zu einer Covid-19-Impfung des Herstellers Merck. Diese wurde allerdings nie zugelassen. Die verwendeten Daten stammen offenbar von anderen Merck-Impfstoffen.

Kritik aus der wissenschaftlichen Community

Angesichts dieser methodischen Schwächen ist bemerkenswert, dass das Papier in einem Journal des seriösen Wissenschaftsverlages Elsevier erschienen ist. Darin veröffentlichte Forschung wird laut Webseite des Journals immer von mindestens zwei Experten auf seine wissenschaftliche Tauglichkeit überprüft.

Diese Art der Qualitätssicherung wird auch «Peer Review» genannt und wurde der dpa vom Chefredakteur des Journals bestätigt. Warum es im vorliegenden Fall dennoch zu einer Veröffentlichung kam, wird derzeit von Elsevier geprüft. Auf der Website PubPeer finden sich bereits einige Kritikpunkte zum Forschungspapier.

(Stand: 24.9.2024)

Links 

Forschungspapier bei sciencedirect.com (archiviert

Beitrag bei Report24 (archiviert

VAERS-Meldeportal (archiviert

Parlament zu Impfschäden (archiviert

Übersichtsstudie aus dem Jahr 2022 (archiviert

dpa-Faktencheck zu VAERS-Falschmeldung

Universitäts-Profil von Al-Rousan (archiviert

Universitäts-Profil von Al-Najjar (archiviert

Merck-Aussendung zu Covid-Impfstoffen (archiviert

About-Seite des Journals (archiviert

Diskussion zum Papier auf pubpeer.com (archiviert

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