Falschaussagen zu Sexualkunde

WHO spricht keine Empfehlung für Pornos im Lehrplan aus

17.9.2024, 17:55 (CEST)

Der WHO wird vorgeworfen, sie fördere eine «Frühsexualisierung» von kleinen Kindern sowie einen Umgang mit Sexspielzeugen im Unterricht. Das stimmt aber nicht.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO gerät häufiger ins Visier von Verschwörungstheorien. So wie auch in diesem jahrealten Video, dass in den sozialen Medien wieder die Runde macht: Angeblich sollen laut der WHO Kinder «im Umgang mit Dildos, Liebeskugeln, Lederpeitsche oder Handschellen ausgebildet werden.» Es wird behauptet, die WHO wolle alle Kinder in Europa schon in einem jungen Alter mit Pornografie und Sexspielzeug bekannt machen. Nach den Standards der WHO werde Lehrkräften der Einsatz solcher Materialien im Unterricht empfohlen.

Bewertung

Das ist falsch. Abgesehen davon, dass WHO-Standards lediglich Empfehlungen sind und keine gesetzlichen Vorgaben, wird an keiner Stelle Lehrkräften empfohlen, Sexspielzeug oder Pornografie im Unterricht einzusetzen.

Fakten

Im Jahr 2011 hat das WHO-Regionalbüro für Europa und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gemeinsam ein Dokument mit dem Titel «Standards für die Sexualaufklärung in Europa». Laut Dokumentbeschreibung handelt es sich um ein «Rahmenkonzept für politische Entscheidungsträger, Bildungseinrichtungen, Gesundheitsbehörden, Expertinnen und Experten».

Vielmehr sind es Empfehlungen der Organisationen, wie Kinder und Jugendliche in Schulen über Sexualität aufgeklärt werden können. Wichtig dabei: Dieses Dokument stellt weder eine Gesetzesvorlage noch eine verpflichtende Vorgabe für die Bildungsministerien der EU-Mitgliedstaaten dar. Die Umsetzung erfolgt auf freiwilliger Basis.

Sexualität umfasst mehr als nur Geschlechtsverkehr

In dem in sozialen Medien kursierenden Video wird behauptet, die WHO verfolge mit ihren Standards Pläne zur «Frühsexualisierung». Dieser Begriff wird heutzutage vor allem als politisches Schlagwort verwendet und wahrgenommen. Befürworter dieses Narratives verknüpfen dabei häufig die Aufklärung über das soziale Geschlecht (englisch: «gender») mit der Aufklärung über das biologische Geschlecht (englisch: «sex»).

Eine umfassende Sexualaufklärung, die auch die Realität von Menschen jenseits der heterosexuellen Beziehung einbezieht, wird dann als «Frühsexualisierung» von Kindern betrachtet, die es zu verhindern gelte.

Die Verfasserinnen und Verasser dieser Standards betonen, dass die Sexualität nicht zwangsläufig den sexuellen Akt umfasst. Stattdessen stützen sich die Standards auf ein umfassendes Verständnis des Begriffs. Dazu zählen auch Aspekte wie Emotionen, Beziehungsaufbau, der Schutz von Privatsphäre, die Achtung von Grenzen und das Äußern von Wünschen.

Diese Themen sind für Kinder und Jugendliche nicht erst im Erwachsenenalter wichtig. Ziel der Standards ist es daher nicht, sie frühzeitig zu sexuellen Handlungen zu ermutigen. Vielmehr sollen ihnen wichtige soziale Kompetenzen vermittelt werden. «Sie stärkt das Selbstvertrauen und trägt dazu bei, dass das Kind selbstbestimmt handeln kann - das Kind wird befähigt, sich verantwortlich gegenüber sich selbst und anderen zu verhalten», heißt es in den Standards (S.21).

Keine Hinweise auf Sexspielzeug im Unterricht

In dem verbreiteten Video fordern die Organisationen angeblich, Kindern im Unterricht den Umgang mit «Dildos, Liebeskugeln, Lederpeitschen oder Handschellen» beizubringen und ihnen zu erklären, wie man ein Bordell einrichtet. Solche Aussagen sind aber in den Standards nicht aufzufinden.

Das Video geht auch auf «das gegenseitige Berühren und Doktorspiele» sowie «frühkindliche Masturbation» ein, um Kindern Kenntnisse über Genitalien zu vermitteln. Diese Themen werden in den Standards erwähnt, beschrieben sie werden aber als Entwicklungsprozess in den ersten zehn Jahren und nicht als Anregung für Pädagogen, diese Aktivitäten zu fördern. Sollten bei Kindern jedoch Fragen zu diesen Themen auftauchen, wird Pädagogen und Lehrkräften empfohlen, dazu auch eine Auskunft zu geben.

Keine Empfehlung für Pornos im Unterricht

An einem weiteren Punkt des Videos wird behauptet, die WHO wünsche sich, dass Kinder und Jugendliche pornografische Videos im Unterricht sehen sollen. Auch diese Forderung lässt sich nicht auffinden.

Stattdessen wird das Thema Pornografie für Kinder ab etwa 9 Jahren und insbesondere für ältere Jugendliche im Kontext der Medienkompetenz behandelt. Dabei geht es um den Einfluss des Internets und von Mobiltelefonen auf verzerrte, unrealistische und irreführende Darstellungen. Auch die Herabsetzung von Frauen in der Pornografie wird angesprochen.

Zum Thema Sexualerziehung für Kinder und Jugendliche kursieren immer wieder Falschinformationen, auch im Zusammenhang mit der WHO. Die dpa hat dazu bereits Faktenchecks verfasst.

(Stand: 17.09.2024)

Links:

Facebook-Behauptung (archiviert, Video)

Standards der BZgA und WHO (archiviert)

«Frankfurter Rundschau»-Bericht zur Angst vor Frühsexualisierung (archiviert)

dpa-Faktencheck zu UNO-Text über «Frühsexualisierung»

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