Corona-Impfungen

Impf-Studie zu Lebenserwartung völlig falsch interpretiert

01.08.2024, 13:45 (CEST)

Alle Aspekte des Coronavirus sind noch nicht erforscht, und somit sind manche Bereiche bisher unbeleuchtet. Damit bleibt Platz für Falschinformationen - so auch bei einer Studie zur Lebenserwartung.

Wissenschaftliche Literatur stellt immer wieder eine Herausforderung für Laien dar. Nicht selten werden vorschnelle Schlussfolgerungen gezogen und über die sozialen Medien verbreitet. Im Sommer 2024 geht etwa die Behauptung um, Menschen mit zweifacher Corona-Impfung hätten «Jahrzehnte ihrer Lebenserwartung eingebüßt». Angeblich soll einer Studie zufolge die Lebenserwartung um 37 Prozent kürzer sein als bei Ungeimpften.

Bewertung

Falsch. Die Studie wurde fehlerhaft ausgewertet - das sagen sogar die Studienautoren selbst.

Fakten

Bei der zitierten Quelle handelt es sich um eine Studie mit dem Titel «A Critical Analysis of All-Cause Deaths during Covid-19 Vaccination in an Italian Province» («Eine kritische Analyse aller Todesfälle während der Covid-19-Impfung in einer italienischen Provinz»). Italienische Forscher haben sie im Juni 2024 im Journal «Microorganisms» publiziert.

Bei der Methodik hätten sich die Forscher auf einen Datensatz anderer Wissenschaftler verlassen, gaben sie an. Ausgewertet wurden dabei die Gesundheitsdaten von Menschen ab 10 Jahren in der italienischen Provinz Pescara (Abruzzen) zwischen Jänner 2021 und Februar 2023.

Was sagt die Studie wirklich?

Über die Resultate der Studie sagen die Forscher: Ein leichter Rückgang der Lebenserwartung sei bei denen zu finden gewesen, die zwei, drei, oder vier Mal geimpft wurden. Um welche Impfstoffe es sich dabei handelte, wurde aber nicht festgehalten.

Innerhalb des Zeitraums, der untersucht wurde, lag der Verlust der Lebenserwartung von Menschen mit zweifacher Impfung bei 10,1 Tagen. Menschen, die nicht geimpft waren, verloren 7,4 Tage Lebenszeit. Daraus errechneten die Wissenschaftler einen Wert von 1,37 - das Verhältnis von dem Verlust der Lebenserwartung von Menschen mit zweifacher Impfung gegenüber Menschen ohne Impfung über den Zeitraum von 739 Tagen.

«Dies ist das Ergebnis unserer Analyse, das sich deutlich von einem "37-prozentigen Verlust der Lebenserwartung" unterscheidet, wie jemand im Internet fälschlicherweise interpretiert hat», erklärte ein beteiligter Forscher auf eine entsprechende Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Die Wissenschaftler führen in ihrer Studie einige mögliche Erklärungen für die Resultate an. Zum Beispiel erwähnen sie schon vorab in ihrem Bericht, dass Verzerrungen (englisch: biases) die Untersuchung beeinflussen könnten. Zu beachten sei etwa, dass am Pandemiebeginn Ältere und Menschen mit gesundheitlichen Vorbelastungen für Impfungen vorgezogen worden seien.

Fehlinterpretationen sind weit verbreitet

Das Ergebnis der Studie wird in manch einem Artikel komplett aus dem Zusammenhang gerissen. Dass Menschen, die gegen das Coronavirus geimpft sind, 37 Prozent weniger Lebenserwartung hätten, ist weder wahr noch von den Studienautoren behauptet. «Wir möchten darauf hinweisen, dass wir nicht für falsche Interpretationen der in unserem Artikel angegebenen statistischen Indizes verantwortlich sind», erklärten die Forscher auf Anfrage.

Bei statistischen Vergleichen gilt grundsätzlich: Bestimmte zeitgleiche Erscheinungen (Korrelation) haben nicht unbedingt eine zusammenhängende Ursache (Kausation). Um einen Zusammenhang festzustellen, reicht auch meistens eine einzelne Studie nicht aus.

Die Forscher weisen selber darauf hin, dass ihre Studie die erste dieser Art ist, und die Ergebnisse in anderen ähnlichen Studien bestätigt werden müssen. Noch dazu sind größere zeitliche und räumliche Rahmen notwendig für aussagekräftige Daten - also mehr als die verhältnismäßig kurze Zeitspanne, und mehr als nur eine Region.

Andere Studien zeigten gegenteilige Ergebnisse

Mehrere andere Studien haben nämlich gegenteilige Ergebnisse gehabt. Wissenschaftler an der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena haben zum Beispiel einen Zusammenhang zwischen hohe Impfquoten und niedrigen Übersterblichkeitsraten gefunden. Nach Angaben des österreichischen Statistikamtes waren auch niedrigere Sterberaten in der Gruppe der Menschen mit Corona-Impfungen zu beobachten.

Immer wieder werden Falschinformationen zu Corona-Impfstoffen verbreitet, die die Pandemie anzweifeln oder die Impfungen als Gefahr hinstellen. Die dpa hat schon mehrere Faktenchecks zu ähnlichen (hier) und anderen Pandemiethemen (hier) veröffentlicht.

(Stand: 01.08.2024)

Links

Telegram-Posting mit Falschbehauptung über Studie (archiviert)

Facebook-Posting mit Falschbehauptung über Studie (archiviert)

Blog-Artikel mit Falschbehauptung über Studie (archiviert)

Studie auf MDPI (archiviert)

dpa-Faktenchecks zu Corona-Impfungen: hier, hier und hier

Statistik Austria zu Übersterblichkeit (archiviert)

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