Daten fehlinterpretiert

AfD-Präsentation zu Sterbefällen seit Jahren widerlegt

26.06.2024, 12:48 (CEST), letztes Update: 03.07.2024, 11:22 (CEST)

Impfschäden sind weiterhin ein Angstthema für viele Menschen. Eine Analyse aus dem Jahr 2022 zu angeblichen Todesfällen im Zusammenhang mit Impfungen gießt hier unnötig Öl ins Feuer.

Die Auswirkungen von Covid-19 und der Impfstoffe gegen das Coronavirus sind noch nicht komplett erforscht. Das macht es einfach, Unwahrheiten und Falschinterpretationen zu verbreiten. So ist es auch in einer Behauptung von Dezember 2022, die immer noch in den sozialen Medien kursiert. Ein in einem Facebook-Reel verbreitetes Säulen-Diagramm soll angeblich die «Todesfälle seit der Gen-Spritzerei» zeigen. In der Grafik ist für das Jahr 2021, in dem die meisten Menschen gegen Sars-CoV-2 geimpft wurden, ein Zuwachs von mehr als 1000 Prozent verzeichnet.

Bewertung

Die Daten weisen keinen Anstieg von Todesfällen nach. Datengrundlage waren Menschen, die im Jahr 2021 medizinische Hilfe in Anspruch genommen hatten. Daher kann niemand von ihnen in den Vorjahren gestorben sein.

Fakten

Die Grafik lässt sich anhand einer Bilder-Rückwärtssuche in einer Präsentation der deutschen AfD aus dem Jahr 2022 finden. Damit sollte belegt werden, dass es einen drastischen Anstieg an ungeklärten Todesfällen seit dem Beginn der Covid-19-Impfungen gab.

Bei einer Pressekonferenz am 12. Dezember 2022 hatte die Bundestagsfraktion der AfD mehrere Grafiken präsentiert, die Todesursachen und Impfnebenwirkungen anhand von ICD-Codes identifizieren sollten. Grundlage dafür waren Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die von AfD-Politiker Martin Sichert angefordert worden waren.

Sein Auswahlkriterium war: Versicherte, die 2021 noch einen Arzt besucht haben. Diese Patienten könnten aber gar nicht vor 2021 für Diagnosecodes zur Abrechnung eines Todesfalls sorgen - weil sie noch am Leben waren.

Daten erlauben keinen sinnvollen Vergleich

Dass die Grafiken trotzdem diesen Eindruck erwecken, liegt an der Datenauswertung, hieß es vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI), das die Daten der Kassenärzte erforscht. «Die Aufregung um möglicherweise gestiegene Todesfälle 2021 entbehrt jeder Grundlage», teilte der Vorstandsvorsitzende des ZI, Dominik von Stillfried, mit.

Dennoch gibt es in den KBV-Daten ICD-Codes für Todesfälle in den Jahren vor 2021. Laut ZI-Vorstand von Stillfried handelt es sich dabei um «Fehler bei der Eingabe oder Übertragung».

Um tatsächlich einen aussagekräftigen Vergleich ziehen zu können, müsste sich der Datensatz auf die Grundgesamtheit aller gesetzlich Versicherten beziehen. Einen solchen Vergleich hat das ZI selbst veröffentlicht: Er zeige für die Jahre 2012 bis 2022 «keine Auffälligkeiten für die einzelnen von der AfD hervorgehobenen Diagnoseschlüssel».

KBV-Vorstand Andreas Gassen wies ebenfalls Sicherts Fehlinterpretation der Ärzte-Daten zurück. «Diskussionen und Debatten müssen sein, aber nicht so, indem in Zahlen etwas hinein interpretiert wird, was sie einfach nicht hergeben.»

ICD-Codes taugen nicht als Analysetool

Die Daten von der KBV enthalten ICD-Codes. Diese Codes sind jedoch nicht dazu geeignet, Todesfälle zu erfassen. Laut ZI sind diese Codes für die Diagnostik und die Abrechnung der Leistungen mit der Krankenkasse. In einer wissenschaftlichen Einordnung stellte das ZI fest, dass die Abrechnungsdaten, im Gegensatz zu den bei den Krankenkassen verfügbaren Versicherungsdaten, keine Diagnosen enthalten, die auf Totenscheinen kodiert werden.

«Auswertungen zu Sterbefällen sind daher auf dieser Datenbasis nicht ohne weiteres möglich», hieß es weiter. Diagnosen, die einen Sterbefall vermuten lassen, können dennoch in Ausnahmefällen dokumentiert werden. Sie können aber auch das Ergebnis von Fehlkodierungen sein.

Impfungen führen nach wie vor nicht zur Übersterblichkeit

In Österreich werden Impfnebenwirkungen von der BASG überwacht. Sie sind selten, schwere Nebenwirkungen extrem selten. In Fehlinterpretationen werden oft sehr milde Impfreaktionen, wie etwa kurzzeitige Schmerzen an der Einstichstelle, mit schwerwiegenden Reaktionen vermengt, was zu einer Verzerrung der Daten führt. Die dpa hat schon mehrfach Faktenchecks zum Thema Impfreaktionen veröffentlicht (hier und hier).

(Stand: 26.6.2024)

Berichtigung

Die erste Zwischenüberschrift im Faktenteil wurde präzisiert: «Daten erlauben keinen sinnvollen Vergleich».

Links

Facebook-Video (archiviert, Download-Link)

AfD-Präsentation zu KBV Daten 2022 (archiviert)

Gesund.bund.de zu ICD-Codes (archiviert)

AfD-Auswertung von Impffolgen (archiviert)

ZI-Statement zu AfD-Pressekonferenz 2022 (archiviert)

Stellungnahme der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) (archiviert)

ZI wissenschaftliche Einordnung der vertragsärztlichen Abrechungsdaten (archiviert)

dpa-Faktencheck zur Fehlinterpretation der KBV-Daten zu Impfreaktionen und -nebenwirkungen

dpa-Faktencheck zur Übersterblichkeit

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