Erfundene Verbote

15-Minuten-Stadt soll urbane Räume lebenswerter machen

11.6.2024, 14:44 (CEST)

Mit dem Stadtplanungskonzept der 15-Minuten-Stadt sollen Verkehrswege klimafreundlicher und angenehmer gemacht werden. Seit einiger Zeit wird die Idee aber zum Gegenstand von Falschinformationen.

In einem Interview hat der Londoner Bürgermeisterkandidat Shyam Batra sich zum Konzept der 15-Minuten-Stadt geäußert. In einem Reel in einer großen österreichischen Facebook-Gruppe werden Ausschnitte aus dem Gespräch verbreitet. Im Text zum Reel steht zusammenfassend: «Wir werden für den Rest unseres Lebens in einem offenen Gefängnis sitzen. Man wird kein Benzin- oder Dieselauto mehr fahren dürfen. Wenn man essen will, bekommt man eine SMS mit einem Kalorienkontrollsystem, was man heute essen darf. Wenn man gegen eine dieser Regeln verstößt, wird das Bankkonto eingefroren.»

Bewertung

Das Konzept der 15-Minuten-Stadt beinhaltet Ideen und Ratschläge, keine Verbote. Von einem Kalorienkontrollsystem ist darin ebenso wenig die Rede wie von eingefrorenen Bankkonten.

Fakten

Zur 15-Minuten-Stadt gibt es Konzepte von verschiedenen Institutionen, die zumeist auf Forschungen des Wissenschaftlers Carlos Moreno von der Pariser Universität Pantheon Sorbonne aufbauen. Shyam Batra bezieht sich in dem Video auf das Konzept «C40 cities» des World Economic Forum (WEF).

Vorneweg gilt, dass es bei «C40» nicht um Verbote geht, sondern um «Ideen und Ratschläge», wie eine 15-Minuten-Stadt implementiert werden könnte. Bei «C40» handelt es sich um ein Netzwerk von Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen aus aller Welt, die zusammenarbeiten, um mit Blick auf die Klimakrise «dringend notwendige Maßnahmen» umzusetzen. Für London ist etwa der aktuelle Bürgermeister Sadiq Khan dabei.

Mobilität in der 15-Minuten-Stadt

Das Ziel der 15-Minuten-Stadt ist, dass Gehen und Radfahren die Hauptfortbewegungsmittel werden und Menschen «ermutigt» werden, auf das Auto zu verzichten. «In einer "15-Minuten-Stadt" kann jeder die meisten, wenn nicht sogar alle seine Bedürfnisse innerhalb eines kurzen Spaziergangs oder einer kurzen Fahrt mit dem Fahrrad von seinem Wohnort aus erfüllen», heißt es.

Im Gegensatz zur bisher verbreiteten Aufteilung sollen Wohngegenden nicht länger getrennt sein von Gegenden, in denen mehrheitlich gearbeitet wird. Von einer Pflicht, mit Elektroautos zu fahren, ist keine Rede.

In Bezug auf ein angebliches Kalorienkontrollsystem oder eingefrorene Bankkonten findet sich in den Informationsbroschüren nichts. Lediglich von regional produzierten Lebensmitteln ist hier die Rede. Für so gravierende Maßnahmen wie das Einfrieren von Bankkonten hätte ein Netzwerk an Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen auch gar nicht die Kompetenzen.

Bekannte Verschwörungserzählungen über die 15-Minuten-Stadt

Shyam Batras Behauptungen, dass es sich bei der 15-Minuten-Stadt um ein «offenes Gefängnis» handle, gleichen bekannten Verschwörungserzählungen, über die bereits die britische BBC und die Tageszeitung «Der Standard» berichteten. Demnach wird ein Bild von einer dystopischen Stadt gezeichnet, die von Kontrolle, Einschränkungen, Isolation und Verboten gekennzeichnet ist.

Dass niemand über das Stadtkonzept rede und Informationen vor der Öffentlichkeit versteckt würden, wie Batra in dem Video weiter sagt, ist ebenfalls falsch. Alle in diesem Faktencheck angeführten Quellen sind öffentlich einsehbar, viele weitere Medien berichteten über die 15-Minuten-Stadt. In der britischen Stadt Oxford gab es sogar Demonstrationen gegen das Konzept, was zeigt, dass es in der Öffentlichkeit bekannt ist.

Auch mehrere dpa-Faktenchecks zeigen, dass über die 15-Minuten-Stadt bereits ähnliche Falschbehauptungen kursierten (hier, hier, hier).

(Stand: 11.6.2024)

Links 

Vision von der 15-Minuten-Stadt (archiviert)

WEF C40 Cities-Projekt

Webseite mit Überblick über C40 (archiviert)

C40 Cities 15-Minuten Stadt (archiviert)  

C40 Cities 15-Minuten Stadt Guidebook (archiviert)  

Artikel von BBC (archiviert)

Artikel von «Der Standard» (archiviert)  

Facebook-Reel (archiviert, Video archiviert)  

dpa-Faktencheck

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