Krankheit seit 1906 bekannt

Ursachen und Verlauf von Alzheimer falsch dargestellt

10.6.2024, 16:34 (CEST)

Mit dem Alter steigt die Gefahr, an Alzheimer zu erkranken. Zu dieser weit verbreiteten, degenerativen Erkrankung zirkulieren viele Falschinformationen, wie auch in diesem Fall.

Die alternde Gesellschaft bringt hohe Zahlen an Alterserkrankungen mit sich. Laut der österreichischen Gesellschaft für Neurologie leiden etwa 130 000 Menschen in Österreich an Demenz, und etwa 100 000 davon an Alzheimer. Viele Menschen fürchten sich vor der Erkrankung - ein Nährboden für Desinformation und Angstmache. Laut einem Facebook-Posting soll es Alzheimer vor 40 Jahren noch gar nicht gegeben haben. Und: Angeblich können cholesterinsenkende Medikamente die Entstehung von Alzheimer begünstigen.

Bewertung

Alzheimer wurde vor über 100 Jahren erstmals von einem Arzt beschrieben. Für den behaupteten Effekt von Cholesterinsenken gibt es keinen Beleg.

Fakten

Die Facebook-Behauptung bezieht sich auf ein angehängtes Video von Joel D. Wallach, einem Tierarzt und Naturheilpraktiker, der in einem Vortrag über Alzheimer und die Auswirkungen von Cholesterinsenkern spricht. Darin stellt er eine Reihe von Behauptungen auf, die teilweise im Facebook-Text wiedergegeben werden.

Alzheimer ist schon lange bekannt und viel erforscht

Die «eigenartige Krankheit der Gehirnrinde» wurde erstmals von Alois Alzheimer im Jahr 1906 beschrieben, laut der Homepage der deutschen Alzheimer Forschung Initiative. Nach dem Tod von Patientin Auguste Deter, die zu Lebzeiten «auffallend verwirrt und vergesslich» war, untersuchte der Nervenarzt das Gehirn, und fand Proteinablagen, sogenannte Plaques, in und zwischen den Nervenzellen.

Alzheimer setzte sich dafür ein, dass seine Forschungsergebnisse ernst genommen wurden - fürs Erste vergeblich. Erst 1910 veröffentlichte Emil Kraepelin die Krankengeschichte von Auguste Deter in einem Lehrbuch unter dem Namen die «Alzheimersche Krankheit».

Was ist Alzheimer eigentlich?

Die Erkrankung ist die häufigste Form von Demenz. Sie tritt überwiegend bei Menschen im Alter über 60 Jahren auf, mit einer Verdopplung der Zahl der Betroffenen alle fünf Jahre.

Alzheimer-Erkrankte werden zunehmend vergesslich, verwirrt und desorientiert. Sprachvermögen und Urteilsfähigkeit lassen nach. Außerdem werden Patienten in vielen Fällen unruhig, aggressiv und depressiv. Die Störung des Gehirns, die auf ein Absterben der Nervenzellen im Gehirn zurückzuführen ist, ist bislang nicht heilbar.

Auf dpa-Anfrage erklärte Raphael Wurm, Neurologe an der Medizinischen Universität Wien, den Prozesse genauer: «Aus noch nicht ganz geklärten Gründen wird das Protein Amyloid-Beta falsch zusammengebaut und dadurch sozusagen klebrig. Diese klebrigen Proteine formen sich zunächst zu größeren Haufen und dann zu Plaques, die zwischen den Zellen liegen. Sie stören dort die Übertragung zwischen den Zellen, sind aber für diese auch giftig.»

In weiterer Folge komme es zur Veränderung des sogenannten Tau-Proteins, das eigentlich dafür zuständig ist, dass Nervenzellen ihre Form behalten. Im Laufe der Erkrankung werden auch sie klebrig, lagern sich in Nervenzellen ab und führen zu deren Absterben, so Wurm. Damit beginne ein Prozess, der schließlich zu den typischen Symptomen führt - sowie zum Verlust von Gehirngewebe, was auch mit einem MRT zu sehen ist.

Cholesterinsenkende Medikamente verlängern Leben

Im Video wird angedeutet, dass eine cholesterinarme Diät oder cholesterinsenkende Medikamente einen Aufbau von Myelin verhindern würde. Myelin, so Tierarzt Wallach, bestehe zu 100 Prozent aus Cholesterin und mache überdies 75 Prozent des Gehirngewichtes aus.

Laut Raphael Wurm sind diese Behauptungen «mehrfach falsch». Myelin mache etwa 20 bis 30 Prozent des Gehirngewichts aus, nicht 75 Prozent: «40 Prozent des Gehirns entfallen auf die sogenannte Weiße Substanz, diese besteht zu 50 bis 60 Prozent aus Myelin».

Myelin sei auch nicht in die Entstehung von Alzheimer involviert, schrieb er der dpa. «Das für das Gehirn benötigte Fett (nicht nur Cholesterin, auch andere Fettstoffe) wird direkt im Gehirn hergestellt.» Der Grund sei, dass das im Blut schwimmende Fett nicht das Gehirn erreichen könne, so Wurm. Denn es sei «zu groß für die sogenannte Blut-Hirn-Schranke.»

Es gebe keinen Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen der Entstehung von Alzheimer und Medikamenten zur Cholesterinsenkung, sagte Wurm. «Im Gegenteil legen viele Beobachtungsstudien nahe, dass Cholesterinsenker (allem voran Statine) einen positiven Effekt haben könnten, jedenfalls aber sicherlich keinen negativen.»

Ein Zusammenhang von neurologischen Erkrankungen mit einer cholesterinarmen Diät oder einer Einnahme von Senkern ist ihm nicht bekannt, und ein direkter Effekt auf die Fettproduktion erscheine auch sehr unwahrscheinlich. «Unabhängig davon ist die Senkung von Cholesterin und eine gesunde Ernährung eine der größten Erfolgsgeschichten der präventiven Medizin der letzten 50 Jahre, durch die unzählige Herzinfarkte und Schlaganfälle verhindert werden konnten. Dadurch werden in weiterer Folge auch viele neurologische Erkrankungen weniger wahrscheinlich, bzw., wenn sie vorhanden sind, in ihrem Verlauf sozusagen vor schlechten Einflüssen beschützt.»

(Stand: 10.6.2024)

Links

Facebook-Posting (archiviert)

Österreichische Gesellschaft für Neurologie (archiviert)

Über Joel D. Wallach (archiviert)

MedUni Wien Neurologie MitarbeiterInnen (archiviert)

National Library of Medicine (archiviert)

Lexikon der Neurowissenschaften (archiviert)

Alzheimer Forschung Initiative (archiviert)

Alzheimer Forschung: Geschichte der Alzheimer Krankheit (archiviert)

Journal of Cell Science (archiviert)

Med Uni Wien News September 2022 (archiviert)

Österreichische Alzheimer Gesellschaft (archiviert)

Gesundheit.gv.at: «Alzheimer: Gesunder Lebensstil senkt Risiko» (archiviert)

Gelbe Liste zu Alzheimer und Cholesterin (archiviert)

Über dpa-Faktenchecks

Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.

Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.

Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an factcheck-oesterreich@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.

Schon gewusst?

Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.