Artikel zieht falsche Schlüsse

Weder Notstand noch «Turbokrebs» in Japan

15.05.2024, 16:37 (CEST), letztes Update: 16.05.2024, 10:23 (CEST)

Krebspatienten haben ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 und sollten sich impfen lassen. Dass die Impfung «Turbokrebs» auslöst, ist ein altbekannter Mythos.

Das Ende der Corona-Pandemie bedeutet noch kein Ende der Verschwörungstheorien über Impfungen. Manche Behauptungen haben dabei mehr mit Fantasie als mit Forschung zu tun. Ein Facebook-Posting, das gerade die Runde macht, behauptet, dass in Japan der Notstand ausgerufen wurde. Der Grund: Laut einer «offiziellen japanischen Studie» habe es zwischen 2020 und 2022 einen «"statistisch signifikanten" Anstieg aggressiver Formen von Turbokrebs» gegeben. Dieser sei durch die mRNA-Impfstoffe verursacht worden.

Bewertung

In Japan wurde kein Notstand ausgerufen. «Turbokrebs» ist keine medizinische Diagnose oder Bezeichnung. Weiters weist die Studie, von der die Behauptung abgeleitet wurde, nicht nach, dass Krebs mit mRNA-Impfstoffen in Verbindung steht.

Fakten

Der Screenshot zeigt einen Artikel auf der anonymen Blogging-Plattform Telegra.ph des in Russland entwickelten Messagingdienstes Telegram. In der Überschrift und im Teaser heißt es, Japan habe den Notstand ausgerufen, im Text steht darüber jedoch nichts. Eine Google-Suche nach «"state of emergency" japan "cancer"» liefert nur Ergebnisse, die sich auf den Notstand zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020 beziehen. Auf der Homepage des japanischen Ministeriums für Gesundheit findet sich ebenfalls nichts.

Der Begriff «Turbokrebs» ist ein Laienbegriff, keine bekannte medizinische Bezeichnung. Es finden sich keine Einträge auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO). Geprägt wurde dieser Begriff von einem Rechtsanwalt auf einer Pressekonferenz namens «Pathologie-Konferenz». Er weist selbst darauf hin, dass dieses Wort nicht medizinisch gebräuchlich ist: «Turbokrebs, so nenne ich es mal, ist eine Erfindung von mir, ist also nicht unter medizinisch korrekter Bezeichnung segelnd, aber sehr einprägsam, denke ich» (ab Minute 3:03).

Studie zur Impfung nicht klinisch validiert

Im Text ist die Studie «Erhöhte altersbereinigte Krebssterblichkeit nach der dritten mRNA-Lipid-Nanopartikel-Impfstoffdosis während der Covid-19-Pandemie in Japan» verlinkt. Sie wurde am 8. April 2024 in der medizinischen Zeitschrift Cureus veröffentlicht.

Darin wird anfangs behauptet, dass signifikant erhöhte Sterblichkeitsraten «nach der Massenimpfung mit der dritten Dosis» beobachtet wurden. Laut dem Papier könnte ein solcher Anstieg auf verschiedene Mechanismen der Impfung zurückzuführen sein.

Die Daten sind jedoch nur begrenzt aussagekräftig: Die Autoren selbst weisen darauf hin, dass die Studie anhand von Statistiken aus öffentlichen Quellen durchgeführt und nicht klinisch validiert wurde.

Adrian Wong schreibt in einem Faktencheck bei Techarp, dass die Studie weder eine Korrelation noch eine Kausalität zwischen Krebsfällen und Impfungen nachweist. Wong weist auch auf andere Unklarheiten hin, zum Beispiel dass nur etwa zwei Drittel der Bevölkerung drei Impfdosen erhalten haben. Somit ist es unklar, welche Impfungen verstorbene Krebspatienten tatsächlich bekommen haben - und eine Kontrollgruppe gab es auch nicht.

Zudem hat Japan auch Impfstoffe eingesetzt, die nicht auf der mRNA-Technologie beruhen. Somit ist eine Übersterblichkeit durch mRNA-Impfungen nicht erfassbar.

Covid-19 ist für Krebspatienten besonders gefährlich

Techarp erwähnt auch, dass Japan weiterhin Covid-19-Impfungen durchführt. Laut dem japanischen Gesundheitsministerium ist die Impfung ab 2024 eine routinemäßige Impfung.

Menschen, die bereits an Krebs erkrankt sind, sind besonders vulnerabel gegenüber Corona-Erkrankungen. Laut einer Studie der Med Uni Wien war in Österreich die Sterblichkeit von Krebspatienten mit Covid-19 viel höher als in der Gesamtbevölkerung. Der österreichische Krebsreport von 2021 empfiehlt Krebspatienten grundsätzlich auch die Schutzimpfung.

(Stand: 14.5.2024)

Links

Suche nach «Turbokrebs» auf der Seite der DGHO (archiviert)

Videokonferenz mit Abschnitt zu vermeintlichem «Turbokrebs» (archiviert, Video archiviert)

Med Uni Wien zu Krebspatientinnen und Covid-19 (archiviert)

Facebook-Behauptung (archiviert)

Telegra.ph-Text (archiviert)

Google-Suchergebnisse (archiviert)

Cureus-Studie (archiviert)

Techarp-Bericht (archiviert)

Krebsreport 2021 (archiviert)

Japanisches Gesundheitsministerium zu Covid-19 (archiviert)

Japanisches Gesundheitsministerium Q&A zu Covid-Impfungen (archiviert)

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