Ein Migrant, der keiner war

Fünf Jahre alte Falschbehauptung wieder im Umlauf

04.04.2024, 17:40 (CEST)

Wenn die Realität zur Stimmungsmache gegen Migranten nichts taugt, wird auf Falschbehauptungen zurückgegriffen. Dabei ist es offenbar auch egal, dass diese oftmals schon einige Jahre alt sind.

In Sozialen Netzwerken wird immer wieder mit länger zurückliegenden Vorfällen Stimmung gegen Entwicklungen, Personen oder Personengruppen gemacht. Ein aktuell vielfach geteiltes Sharepic bezieht sich etwa auf einen Vorfall aus 2019 und wird einem Migranten angekreidet – zu Unrecht, wie sich schon nach kurzer Recherche herausstellt. 

Bewertung 

Der Mann war kein Migrant, sondern ein niederländischer Staatsbürger namens Martin. Es gibt zudem laut Obduktionsbericht keine Belege dafür, dass der Mann erschlagen wurde. 

Fakten 

In den Niederlanden soll dem Beitrag zufolge ein Migrant ein vierjähriges Kind vergewaltigt haben. Passanten hätten daraufhin Selbstjustiz verübt und den mutmaßlichen Straftäter vor dem Eintreffen der Polizei «erschlagen». Ein Emoji am Ende des Sharepics deutet an, dass der Verbreiter dieses Vorgehen begrüßt. 

Tatsächlich ereignete sich der Vorfall, auf den sich das Sharepic mutmaßlich bezieht, schon im Sommer 2019 in der nordniederländischen Stadt Assen (Provinz Drenthe). Am 24. August soll ein 32-Jähriger ein vierjähriges Mädchen auf einem Spielplatz vergewaltigt haben. Nur wenige Tage später erhärtete sich dieser Verdacht. 

Der Mann war entgegen der Behauptung im Posting kein Migrant, sondern ein 32-jähriger Gärtner namens Martin aus Assen. Er wurde noch am Spielplatz vom Vater des Mädchens und vier Passanten festgehalten. Während er von den Männern zu Boden gedrückt wurde, starb der Mann aus ungeklärten Gründen. Die fünf Männer kamen daraufhin in Polizeigewahrsam, aus dem sie kurze Zeit später aber wieder entlassen wurden. 

Im Dezember 2019 veröffentlichte die Bezirksstaatsanwaltschaft Nordniederlande ihren Bericht zu dem Vorfall. Demnach sahen die Behörden von einer Strafverfolgung der Männer ab. Sie bewerteten ihr Vorgehen als «gerechtfertigtes zivilrechtliches Handeln». Zudem lägen «ausreichende rechtliche und überzeugende Beweise für ein Sexualdelikt» durch den kurz darauf Verstorbenen vor. 

Auch wenn eine Obduktion keine klare Todesursache ermitteln konnte, kam der Pathologe zum Schluss, dass mehrere Faktoren für den Tod des 32-Jährigen verantwortlich waren – neben der Fixierungshaltung durch die Männer auch «Anomalien im Herzen und Auswirkungen von Amphetamin- und Alkoholkonsum». Die Männer hätten deshalb nicht damit rechnen können, dass ihr Eingreifen tödliche Folgen haben könnte. 

Eine Gewalteinwirkung durch Schläge, wie die Formulierung im Sharepic nahelegt, fand indes nicht statt. Auch die tatsächliche Herkunft des mutmaßlichen Sexualstraftäters wurde zugunsten eines hetzerischen Vorgehens gegen Migranten verschwiegen. Ebenso fehlt im Posting ein Hinweis darauf, dass es sich um einen fast fünf Jahre zurückliegenden Vorfall handelt. 

(Stand: 04.04.2024) 

Links

Posting mit Sharepic bei Facebook (archiviert

Artikel “Kleine Zeitung” (archiviert

Artikel “Northern Times” (archiviert

Artikel “AD” (archiviert

Weiterer Artikel “Northern Times” (archiviert

Artikel “NU.nl” (archiviert

Bericht der Staatsanwaltschaft (archiviert

dpa-Faktencheck aus 2019

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