Aussage verfälscht

Es gibt keinen Hinweis, dass Schäuble diesen Satz jemals sagte

28.12.2023, 17:04 (CET)

Politikern wird oftmals vorgeworfen, Menschen Angst zu machen und ihre Verunsicherung auszunutzen. Dabei finden sich aber auch Falschzitate.

Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist tot. Der CDU-Politiker sei im Kreise seiner Familie zu Hause am 26. Dezember friedlich eingeschlafen, teilte die Familie der Deutschen Presse-Agentur mit. In sozialen Medien kursiert eine angebliche Aussage Schäubles: «Die Not, welche wir vorsätzlich herbeiführen werden, wird die Menschen zwingen, sich zu beugen.» Äußerte sich der Politiker tatsächlich so?

Bewertung

Es gibt keinerlei Hinweise, dass das Zitat von Schäuble stammt. Vermutlich wurde ein tatsächliches Zitat Schäubles hierfür aus dem Kontext gerissen und falsch interpretiert.

Fakten

Das angebliche Zitat von Schäuble kursiert bereits seit vielen Jahren. Bereits im Jahr 2020 hat die dpa Schäubles Büro kontaktiert, jedoch keine Einschätzung zu dem Satz erhalten.

Dennoch lässt sich aufzeigen, dass es für die behauptete Aussage keinen Beleg gibt und es sich vermutlich um ein verfälschtes Zitat handelt. Mit einer Suche nach dem Satz findet man etwa keine Transkripte oder Aufzeichnungen, in denen er erhalten ist.

Auffinden lässt sich allerdings ein Video, in dem Schäuble mit folgender Aussage zu hören ist: «Weil, wenn die Krise größer wird, werden die Fähigkeiten, Veränderungen durchzusetzen, größer.» Die Interpretation des Erstellers der Untertitel lautet wie folgt: «Oder anders gesagt: "Die Not wird die Menschen zwingen, sich zu beugen!"».

Woher der hinzugefügte Relativsatz «welche wir vorsätzlich herbeiführen werden» stammt, bleibt unklar. Klar ist jedoch, dass dieser den Sinn der Aussage grundlegend geändert hat - Schäuble sprach nie von einer vorsätzlich herbeigeführten Krise.

Das Video stammt von einer Podiumsdiskussion zwischen dem damaligen Bundesfinanzminister Schäuble und dem mittlerweile gestorbenen ehemaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) aus dem Jahr 2011. Sie sprachen dabei über die Währungs- und Finanzstabilität in Europa während der Hochphase der Finanz- und Schuldenkrise.

Schäuble argumentierte dabei, dass die Regulierung der angeschlagenen Finanzmärkte notwendig sei und eine Lösung auf europäischer Ebene gefunden werden müsse. Dies sei mühsam, aber nicht hoffnungslos und deshalb sei er trotz Krisenstimmung entspannt. Auf Nachfrage sagte er dann den Satz: «Weil, wenn die Krise größer wird, werden die Fähigkeiten, Veränderungen durchzusetzen, größer.»

(Stand: 28.12.2023)

Links

dpa-Text über Schäubles Tod in der «NZZ» (archiviert)

Bearbeitetes Video mit vermeintlichem Zitat (archiviertVideo archiviert)

Längerer, unbearbeiteter Mitschnitt (archiviertVideo archiviert)

Programminfo von Phoenix (archiviert)

Hintergrund zur Schuldenkrise (archiviert)

Beitrag auf Facebook (archiviert)

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