Rechenfehler

Tel Aviver Börse dementiert massenhafte Leerverkäufe vor Hamas-Angriff

22.12.2023, 16:26 (CET)

Beim Anschlag auf den Mannschaftsbus des deutschen Fußballvereins Borussia Dortmund 2017 ging es um Börsenspekulation. Gibt es so einen Hintergrund auch beim Terrorangriff der Hamas auf Israel?

Insiderwissen über die bevorstehenden Angriffe der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober soll zu Millionengewinnen bei Wetten auf sinkende Börsenkurse geführt haben. Das behauptet eine umstrittene Studie zweier US-Rechtsprofessoren. Ein Facebook-Eintrag nimmt Bezug auf die Studie: «Selbst Banker wussten von dem bevorstehenden Angriff», heißt es da.

Bewertung

Bei genauerem Hinsehen lässt die Studie einen solchen Schluss nicht zu. Die Studienautoren können weder konkrete Transaktionen noch Informationsquellen nennen. Die Datenlage wird sowohl von den Studienautoren als auch von weiteren Experten als zu dünn angesehen. Die Börse in Tel Aviv dementierte die genannten Zahlen und verwies auf einen eklatanten Rechenfehler.

Fakten

Die 67-seitige Studie mit dem Titel «Trading on Terror?» stammt von den US-Rechtsprofessoren Robert Jackson Von der New York University und Joshua Mitts von der Columbia University. Sie wollen basierend auf Daten der US-Börsenaufsicht SEC in den Tagen vor dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober einen Anstieg von Leerverkäufen israelischer Aktien an der Börse in Tel Aviv und des an der New Yorker Börse gehandelten Fonds MSCI-Israel-ETF (EIS) festgestellt haben. Dieser übertreffe die Leerverkäufe vor anderen Krisen wie der Finanzkrise von 2008 oder der Corona-Pandemie.

Bei Leerverkäufen wird eine Aktie verkauft, die man nicht besitzt («short selling»), in der Hoffnung diese durch fallende Preise später billiger zurückkaufen zu können. Die Börsenkurse in Israel fielen am Tag nach dem Angriff um acht Prozent.

Dementi aus Tel Aviv

Ihre Analyse lege nahe, dass über die bevorstehenden Anschläge informierte Börsenhändler «von den tragischen Ereignissen profitiert haben», schreiben die Professoren. Allerdings schränken sie ein, dass es sich um «vorläufige Ergebnisse» handele, die zudem keine Hinweise auf konkrete Marktteilnehmer geben würden, «geschweige denn auf die Quellen der Informationen» (siehe Seite 6 im PDF der Studie), die zu den Transaktionen geführt haben könnten.

Die Börse in Tel Aviv (TASE) widersprach den beiden Professoren. «Ich sehe in den bei uns vorhandenen Daten nichts, was nur annähernd mit dem übereinstimmt, was sie in dem Papier geschrieben haben», sagte TASE-Manager Janiv Pagot der Nachrichtenagentur Reuters. «Es gab nichts Ungewöhnliches bei den Short-Positionen an der Börse in den zwei Monaten vor dem Angriff.» Die israelische Finanzbehörde ISA schloss sich dieser Meinung an.

Rechenfehler führte laut Börse zu sehr hoher Summe

Zudem korrigierte die TASE einen erheblichen Rechenfehler der Studien-Autoren, die von Gewinnen von 3,2 Milliarden Schekel (rund 800 Millionen Euro) bei Israels größter Bank Leumi ausgegangen waren. Aktienkurse würden allerdings in Agorot (vergleichbar mit dem Cent) angegeben. Potenzielle Profite lägen also bei lediglich 32 Millionen Schekel (8 Millionen Euro).

Insgesamt ergibt sich aus verschiedenen Expertenaussagen ein gemischtes Bild über mögliche Insidergeschäfte im Umfeld des Terrorangriffs. Einerseits sieht J.J. Kinahan vom Trading-Unternehmen IG North America laut dem US-Sender NBC «mangelnde Evidenz». Der Datenspezialist Dan Rosenheck von der Londoner Wirtschaftszeitung «The Economist» wiederum hält es laut einem Videobeitrag durchaus für möglich, dass Informationen der Hamas nach außen gedrungen seien, von denen «irgendwer» profitiert habe. Die beiden Experten bewerten die öffentlich zugängliche Datenlage aber als zu dünn, um daraus Schlüsse zu ziehen. So sieht etwa Kinahan auch die theoretische Möglichkeit, dass es sich bei den Leerverkäufen lediglich um einen Absicherung viel größerer Finanzmarkt-Wetten auf steigende Kurse israelischer Aktien gehandelt haben könnte.

Gab es vorab andere Hinweise?

Dass generell Informationen über die Angriffe vorab nach außen gedrungen sind, legen Medienberichte unabhängig von den Spekulationsgeschäften nahe. So berichtete etwa die «New York Times» über Anschlagspläne, die Israels Militär und Geheimdienst im Vorhinein bekannt gewesen, aber nicht ernst genommen worden seien. CNN wiederum berichtete, dass die US-Geheimdienste ihre Regierung vor einer möglichen Eskalation des Nahost-Konflikts durch die Hamas warnte, allerdings ohne Details oder Hinweise auf das mögliche Ausmaß.

Diese Berichte wecken Zweifel daran, dass Banker von dem bevorstehenden Hamas-Terrorangriff detailliert Bescheid gewusst haben könnten. Bleibt noch der in Medien geäußerte Verdacht, die Hamas selbst habe mit Aktiendeals vor ihrem Angriff Millionen gemacht. «Economist»-Experte Rosenheck hält dies für unwahrscheinlich, da der mögliche Profit für eine Organisation wie die Hamas zu gering sei, um das Risiko einzugehen, den bevorstehenden Angriff zu verraten.

(Stand: 22.12.2023)

Links

US-Studie «Trading on Terror?» (archiviert)

ORF über den Terrorangriff vom 7. Oktober (archiviert)

BR-Erklärstück zu Leerverkäufen (archiviert)

Reuters über Aussage der Börse Tel Aviv (archiviert)

«Times of Israel» mit Statement der Finanzbehörde (archiviert)

NBC-Artikel (archiviert)

«Economist»-Video auf Youtube (archiviert)

«New York Times» zu Anschlagsplänen (archiviert)

CNN über US-Geheimdienstinformationen (archiviert)

«RND» über Leerverkäufe-Theorie (archiviert)

Posting auf Facebook (archiviert)

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