Nicht neun Freisprüche

Neun Verurteilungen im Prozess um Gruppenvergewaltigung in Hamburg

8.12.2023, 12:41 (CET)

Im Netz bricht sich oft Empörung Bahn, wenn Urteile in Vergewaltigungsprozessen gesprochen werden. Oft heißt es, sie seien zu mild - manchmal werden sie aber auch einfach nur falsch wiedergegeben.

Im Jahr 2020 wurde ein 15-jähriges Mädchen im Hamburger Stadtpark vergewaltigt. Drei Jahre später sorgte der Prozess im November 2023 für Aufsehen, einige zeigten sich ob des Urteils empört. Aber stimmt es wirklich, dass neun Angeklagte freigesprochen worden sind, wie es in einem Facebook-Beitrag behauptet wird?

Bewertung

Das ist falsch. Zehn Personen waren angeklagt, neun davon wurden zu Haftstrafen verurteilt. Während ein Täter tatsächlich ins Gefängnis muss, sind die anderen Strafen zur Bewährung ausgesetzt oder es wird erst entschieden, ob es zu einem Gefängnisaufenthalt kommt.

Fakten

Nach Auffassung des Gerichts vergewaltigten neun der zehn Verurteilten im September 2020 die Jugendliche im Hamburger Stadtpark. Zum Tatzeitpunkt waren die Täter 16 bis 20 Jahre alt, der Vorfall fand bei einer Party auf der Festwiese Parks statt.

Vier der Angeklagten hätten an der betrunkene Jugendliche in einem Gebüsch sexuelle Handlungen durchgeführt, die gegen ihren erkennbaren Willen stattfanden. Einer der Täter habe ihr dabei das Handy und das Portemonnaie gestohlen. Anschließend hätten zwei weitere Angeklagte den verwirrten Zustand des Mädchens ausgenutzt und es ebenfalls vergewaltigt.

Als die 15-Jährige danach auf die Festwiese zurückkehrte, soll sie ein weiterer junger Mann missbraucht haben. Anschließend sollen weitere drei Jugendliche das Mädchen ins Gebüsch gebracht haben. Da hier allerdings nicht gesichert ist, dass alle drei sie vergewaltigt hatten, kam es schon im April zum Freispruch eines 23-Jährigen. Die anderen neun Männer wurden zu Haftstrafen verurteilt. Die Urteile der Jugendkammer des Landgerichts vom 28. November 2023 sind noch nicht rechtskräftig.

Sieht man sich die einzelnen Haftstrafen im Detail an, fasste ein 19-Jähriger eine Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten Haft ohne Bewährung aus. Die Jugendstrafen für die anderen acht Verurteilten, die zwischen ein und zwei Jahren betragen, wurden zur Bewährung bzw. zur sogenannten Vorbewährung ausgesetzt.

Bei der Vorbewährung wird erst nach sechs Monaten entschieden, ob die Verurteilten ihre Haftstrafe im Gefängnis antreten müssen oder weiter auf Bewährung bleiben. Die betrifft vier Verurteilte, ihr weiteres Verhalten wird in den nächsten Monaten maßgeblich für die Entscheidung sein.

Das Urteil entsprach im Wesentlichen der Strafforderung der Staatsanwaltschaft. Die Verteidiger der Angeklagten hatten für alle Freisprüche gefordert. Diesen teilte die Richterin laut «Zeit Online» mit, dass ihre Forderung abwegig gewesen sei.

Die Vorsitzende Richterin kritisierte bei der Urteilsverkündung das Verhalten der jungen Angeklagten. Keiner der Angeklagten habe ein Wort des Bedauerns über die Lippen gebracht.

Strafmaß im Jugendstrafrecht

Im Jugendstrafrecht nimmt die Justiz darauf Rücksicht, dass für Jugendliche aufgrund ihres nicht abgeschlossenen Reifeprozesses nicht dieselbe Verantwortungsreife gilt wie für Erwachsene. Außerdem soll durch gezielte Maßnahmen sichergestellt werden, dass die Verurteilten nicht wieder in Konflikt mit dem Gesetz geraten. «Das vorrangige Ziel im Jugendstrafrecht ist daher nicht die Bestrafung bzw. der Schuldausgleich für begangenes Unrecht, sondern die Verhinderung einer erneuten Straffälligkeit der betroffenen Jugendlichen (§ 2 Abs. 1 JGG)», heißt es auf der Webseite des deutschen Justizministeriums.

(Stand: 7.12.2023)

Links

dpa-Bericht zur Urteilsverkündung, veröffentlicht von «hamburg.de» (archiviert)

Mitteilung des Landgerichts Hamburg zur Urteilsverkündung (archiviert)

Informationen über die Vorbewährung (archiviert)

Gesetzesparagraf zur Vorbewährung im Jugendgerichtsgesetz (archiviert)

Webseite des Deutschen Bundesministeriums für Justiz (archiviert)

Bericht von «Zeit Online» zur Urteilsverkündung (archiviert)

Facebook-Beitrag mit Behauptung (archiviert)

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