Kritik an Daten

Norwegisches Diskussionspapier taugt nicht als CO2-Studie

22.11.2023, 17:19 (CET)

Schon kleine Änderungen der globalen Durchschnittstemperatur führen zu Wetterextremen. Um belastbare Aussagen zum Thema zu treffen, braucht man daher genaue Messungen.

Nicht jedes Schriftstück, das wissenschaftlich anmutet, ist eine Studie. Aktuelles Beispiel dafür ist ein Diskussionspapier der zentralen Statistikbehörde Norwegens (SSB). Darin widmen sich die Autoren der Frage, ob der menschliche Einfluss auf den CO2-Gehalt der Erdatmosphäre tatsächlich messbar und relevant ist. Ihre Antwort wird in sozialen, aber auch etablierten Medien verbreitet. So heißt es zum Beispiel: «Studie widerspricht Klimapanik: Keine großen Temperatur-Veränderungen durch CO2».

Bewertung

Es handelt sich um ein Diskussionspapier, nicht um eine Studie, wie mancherorts behauptet wird. Die Arbeit wird von vielen Experten als unzureichend kritisiert. Das gewählte Sample ist demnach nicht repräsentativ und der Interpretationsspielraum bei den Messergebnissen zu groß für so tiefgreifende Rückschlüsse. Der menschliche Einfluss auf die Erdatmosphäre ist wissenschaftlicher Konsens.

Fakten

Dass der Mensch am Anstieg der CO2-Konzentration und damit weltweit steigenden Temperaturen einen wesentlichen Anteil hat, lässt sich etwa in den regelmäßig erscheinenden Sachstandsberichten des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen nachlesen. Laut Kapitel 3 der Arbeitsgruppe I im aktuellsten, sechsten IPCC-Bericht gibt es vor allem seit dem zweiten Bericht aus dem Jahr 1995 immer deutlichere Belege.

Der aktuelle Bericht der Weltwetterorganisation (WMO) weist die CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre im Jahr 2022 rund 50 Prozent über dem vorindustriellen Niveau aus. 2023 wurde ein neuer Rekordwert von knapp 425 ppm (Millionstelteile) CO2 in der Atmosphäre gemessen. So hohe Werte gab es zuletzt vor drei bis fünf Millionen Jahren.

«An den Ursachen des Klimawandels, an den zugrunde liegenden physikalischen und übrigen wissenschaftlichen Prinzipien» gibt es Franz Essl von der Universität Wien zufolge keinen Zweifel. Österreichs Wissenschafter des Jahres 2022 nannte es gegenüber dpa-Faktencheck offensichtlich, dass der menschliche Einfluss «massive Auswirkungen auf den Energiehaushalt der Atmosphäre haben muss.» Dazu ein Diskussionspapier zu veröffentlichen, vergleicht er deshalb mit einem «Diskussionspapier zur Existenz der Schwerkraft».

Dass der menschliche Einfluss auf den weltweiten Temperaturanstieg «unzweifelhaft» sei, sieht man laut Daniel Huppmann auch an der Tatsache, dass rund 150 Regierungen der Welt «Tausenden von Wissenschafter·innen» diesbezüglich Glauben schenken, wie er gegenüber dpa-Faktencheck erklärte. Huppmann war einer der Co-Autoren des 2018 veröffentlichten IPCC-Sonderberichts über die globale Erwärmung um 1,5 Grad Celsius.

Wieso kommt das norwegische Papier zu anderen Ergebnissen?

Genau dieser Einfluss wird in dem Diskussionspapier jedoch in Abrede gestellt. Dafür wurden Temperaturen von 95 Wetterstationen analysiert. Die Autoren John K. Dagsvik und Sigmund Hov Moen bedienten sich hauptsächlich an einem bereits 2020 von ihnen veröffentlichten Paper, das sie etwa um aktuellere Daten erweiterten. Dieses wiederum basiert zum Teil auf einem Buch des damaligen RWE-Managers Fritz Vahrenholt (im Paper irrtümlich «Varenholt» genannt), das unter anderem als «mangelnd glaubwürdig» und «unredlich» kritisiert wurde.

Dagsvik ist ein mittlerweile pensionierter Wirtschaftswissenschaftler, der am SSB tätig war und bisher vor allem in seinem Gebiet publizierte. Moen ist Informatikexperte und war als Universitätsdozent für Datenverarbeitung an der norwegischen Informationstechnologie-Universität (NITH) in Oslo tätig.

Inhaltliche Kritik an dem Papier gab es auf mehreren Ebenen: So wurde die Auswahl und Anzahl der überprüften Wetterstationen kritisiert, da sie nur rund 20 Prozent der Landfläche der Erde abbilden und außerdem die Ozeane vernachlässigten, bemängelte etwa der pensionierte Meereswissenschaftler Svein Sundby. Auch die viel zu hohen Schwellenwerte für «abnormal warmes» Klima wurden kritisiert.

Hinter dieser in mehreren Blogbeiträgen zusammengefassten Kritik steht der Österreicher Edgar Hertwich, der als Professor für Industrieökologie an der Norwegian University of Science and Technology (NTNU) in Trondheim tätig ist. Dagsvik und Moen haben seines Wissens keinerlei Ausbildung oder frühere Expertise auf dem Gebiet der Klimaforschung.

Auch deshalb fand er gegenüber dpa-Faktencheck problematisch, dass SSB die Veröffentlichung des Diskussionspapiers rechtfertigte. «Leute fassen das als offiziell begutachtete Information auf, nicht als Arbeitsnotiz», kritisierte Hertwich. Selbst vom Staat finanziell unterstützte Medien wie Exxpress bezeichneten das Papier fälschlicherweise als Studie.

(Stand: 21.11.2023)

Links

Diskussionspapier von Dagsvik/Moen (archiviert)

Facebook-Posting (archiviert)

Kommentar im «Wall Street Journal» (archiviert)

AR6, WG I, Chapter 3 (archiviert)

WMO-Aussendung zum aktuellen Bericht (archiviert)

Informationen zu CO2 in der Atmosphäre (archiviert)

CO2-Konzentration im Laufe der Zeit (archiviert)

earth.org zu CO2-Messungen (archiviert)

Artikel orf.at zu Essl (archiviert)

IPCC-Summary for Policymakers (archiviert)

Huppmanns IIASA-Profil (archiviert)

IPCC-Sonderbericht 2018 (archiviert)

Artikel bei «Verdens Gang» (archiviert)

Veröffentlichung aus 2020 (archiviert)

«Stern»-Artikel zum Vahrenholt-Buch (archiviert)

Blogeintrag bei spektrum.de (archiviert)

klimafakten.de zum Vahrenholt-Buch (archiviert)

Dagsviks SSB-CV (archiviert)

Infos zu Moen bei digi.no (archiviert)

Kommentar von Sundby (archiviert)

Hertwich-Blogeintrag vom 19. Oktober (archiviert)

Hertwich-Beitrag bei LinkedIn (archiviert)

Hertwichs Profil an der NTNU (archiviert)

SSB-Stellungnahme (archiviert)

Kurier-Artikel zu Medienförderung (archiviert)

Artikel auf exxpress.at (archiviert)

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