Kein Bürgermeister-Brief
Jahrealte Schweinefleisch-Geschichte stammt nicht aus der Schweiz
22.9.2023, 12:47 (CEST)
In einigen Kreisen wird mitunter aus dem Grund gegen eine liberale Migrationspolitik gewettert, dass man einen zu großen Einfluss durch Religionen und andere Kulturen befürchtet. Hierzu passt ein viraler Brief, der von einem Bürgermeister in der Schweiz stammen soll. Angeblich wende er sich an muslimische Eltern, die den «Rückzug von Schweinefleisch» in einer Schule in der Region gefordert hätten. Was ist an der Geschichte dran?
Bewertung
Der Brief kursiert schon seit Jahren mit ständig variierenden Orten und stammt nicht aus der Schweiz. Er wurde auch nicht von einem Bürgermeister verfasst, sondern erschien zuerst als Meinungsbeitrag auf einer Website.
Fakten
Der Brief stammt nicht von einem Bürgermeister in der Schweiz. Einerseits gibt es in der Schweiz die Bezeichnung gar nicht, die Funktion wird dort Stadt- oder Gemeindepräsident genannt. Zum anderen ist diese Geschichte schon seit vielen Jahren in verschiedenen Formen unterwegs.
Dies lässt sich daran erkennen, dass der aktuell geteilte Text sehr starke Ähnlichkeiten mit in der Vergangenheit geteilten Texten aufweist. So ist etwa die Struktur und der Aufbau der Argumente und Phrasen ident. Lediglich einige Stellen wurden ergänzt oder entfernt, wodurch der aktuelle Text nicht immer exakt wortgleich ist. Dass es sich um dieselbe Geschichte handelt, ist aber eindeutig zu erkennen.
Ein älterer dpa-Faktencheck hat sich mit der Behauptung beschäftigt, der Brief stamme aus Kanada. Der betroffene Bürgermeister einer kanadischen Stadt bezeichnete das bereits 2015 in einer Presseaussendung als falsch.
Auch die belgische Gemeinde Ath war mit einer derartigen Behauptung konfrontiert. Im Jahr 2014 erklärte man, dass es keine Forderung zur Abschaffung von Schweinefleisch in Schulkantinen gegeben habe.
Einem Artikel von Radio Canada ist zu entnehmen, dass die Behauptung im Jahr 2013 im französischen Juan-les-Pins (Gemeinde Antibes) ihren Ursprung hat. Dort soll die stellvertretende Bürgermeisterin Anfragen von Eltern abgelehnt haben, die Speisepläne einer Schulmensa zu ändern. Die einen hätten mehr Fleisch gefordert, die anderen weniger oder gar keines.
Die Begründung in ihrem Antwortschreiben: Die Forderungen der Eltern würden unter anderem auf religiösen oder persönlichen Überzeugen beruhen, die dem französischen Prinzip des Laizismus (Anm. Trennung von Staat und Religion) widersprächen. Von Muslimen ist nicht ausdrücklich die Rede.
Allerdings gibt es eine Verbindung des viralen Texts zu der Entscheidung in Juan-les-Pins: Auf einer konservativen Website erschien kurz darauf ein Meinungsbeitrag, der die stellvertretende Bürgermeisterin lobte. Der Wortlaut dieses Texts entspricht weitgehend jenem, der seitdem fälschlicherweise als Bürgermeister-Brief in verschiedenen Ländern herumgereicht wird. Ein offizieller, behördlicher Text ist es nicht.
Eine Recherche mit Suchmaschinen zeigt, dass das Thema Schweinefleisch an Schulen in der Schweiz durchaus bereits für Aufregung gesorgt hat.
(Stand: 21.9.2023)
Links
Historisches Lexikon der Schweiz (archiviert)
Archiviertes Beispiel aus der Vergangenheit
dpa-Faktencheck zu früherer Version
Dementi der Stadt Dorval in Kanada (archiviert)
Faktencheck von Snopes (archiviert)
Archiviertes Dementi der Gemeinde Ath
Artikel von Radio Canada (archiviert)
Antwortschreiben der stellvertretenden Bürgermeisterin (archiviert)
Meinungsbeitrag zu der Entscheidung von 2013 (archiviert)
Über dpa-Faktenchecks
Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.
Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.
Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an factcheck-oesterreich@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.
Schon gewusst?
Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.