Anders als in Österreich
Deutschland misst mittlere Temperatur außerhalb von Städten
21.9.2023, 15:08 (CEST)
Die Klimakrise bereitet vielen Menschen Kopfzerbrechen. Zugleich gibt es einige, die trotz aussagekräftiger Daten und Statistiken die Gefahr herunterspielen wollen. So werden etwa mit einem viralen Video die offiziellen Messungen infrage gestellt. Demnach soll es in Deutschland höhere Werte gegeben haben, weil Messstationen über die letzten Jahrzehnte in Stadtgegenden verlegt worden sind. Obwohl es im Video alleine um die Messungen in Deutschland geht, wird es auch in Österreich geteilt.
Bewertung
Es ist richtig, dass es heutzutage mehrere Messstationen im städtischen Raum gibt. In die Erhebung der Durchschnittstemperaturwerte in Deutschland fließen deren Messungen allerdings nicht ein. Darüber hinaus wird beim Bemessungsverfahren darauf Acht gegeben, Einflüsse durch Verlegungen im Netz zu minimieren.
Fakten
Tatsächlich wird es in dicht bebauten Städten vor allem im Sommer oft heißer als in ländlichen Gebieten. Dieser Effekt wird auch als Wärmeinsel-Effekt bezeichnet. Das Phänomen ist vor allem der dichten Bauweise, den sich leichter aufheizenden Oberflächen und der zusätzlichen Wärme durch Heizungen, Klimaanlagen und Industrie sowie dem Verkehr in der Stadt zuzuschreiben, heißt es im 6. Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC).
Dpa hat die Frage, ob es eine Entwicklung hin zu städtischen Wetterstationen gibt, an Felix Ament vom meteorologischen Institut der Universität Hamburg gestellt. Dessen Antwort fiel klar aus: «Nein, diese Entwicklung gibt es nicht.» Demnach würde eine derartige Vorgehensweise gegen die von der World Meteorological Organization (WMO) aufgestellten Standards guter wissenschaftlicher Praxis oder Regeln verstoßen. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) habe kein Interesse daran, seine Wetterstationen in Richtung Städte zu verlagern.
In deutschen Städten wird separat gemessen
DWD-Sprecher Uwe Kirsche teilte dpa auf Anfrag mit, dass der DWD seit einigen Jahren ein sogenanntes Stadtklimamessnetz betreibt, «um den städtischen Wärmeinseleffekt genauer beschreiben und quantifizieren zu können.» Allerdings seien diese Stationen nicht Teil des offiziellen DWD-Messnetzes, ihre Daten fließen also «nicht in die Berechnung der Gebietsmittel der Temperaturen der Bundesländer und Deutschland mit ein.» Es werde bei der Veröffentlichung der erworbenen Daten explizit darauf hingewiesen, dass sie nicht repräsentativ sind. Die bekannten Rekordwerte würden demnach nicht in Städten, sondern in «freier Lage» erhoben.
«Natürlich werden die nicht einfach so mit allen anderen Stationen in einen Topf gerührt und man bildet dann einfach nur stumpf einen Mittelwert», betont Ament von der Uni Hamburg. Generell berechne man alle möglichen Gründe für Temperaturunterschiede mit ein, wie beispielsweise Höhenunterschiede.
Das eigene Messnetz für Städte gebe es, weil man aufgrund der Regeln der WMO bisher in Städten umgekehrt blind war. Wegen dieses Mangels habe der DWD die städtischen Stationen aufgebaut.
Berechnungsverfahren minimiert Einflüsse
Stationen in Innenstädten werden nach Informationen des DWD immer häufiger ins Umland oder in die Peripherie der Städte verlegt. Grund dafür ist eine zunehmende Bebauung, man erhoffe sich von diesem Schritt aussagekräftigere Ergebnisse. Den Aussagen im Video widerspricht DWD-Sprecher Kirsche eindeutig: «Weder reduziert der DWD systematisch sein Messnetz, noch werden Stationen gezielt an "kalten" Standorten stillgelegt.»
Darüber hinaus minimiere das Berechnungsverfahren die Einflüsse, die Veränderungen im Messnetz auf die Ermittlung des Temperaturmittelwerts haben - etwa wenn sich die Anzahl der Klimastationen ändert. Dass es zu Verschiebungen von Messstationen komme, sei natürlich, wenn über Jahrzehnte Wetterdaten erhoben werden. Die dabei entstehenden Abweichungen werden laut Kirsche «sorgfältig mit wissenschaftlichen Methoden nach internationalen Standards korrigiert».
In Österreich werden städtische Werte einbezogen
In Österreich ist die Situation übrigens anders als in Deutschland. Hierzulande wurde die Entwicklung der Durchschnittstemperatur seit mehr als 250 Jahren über den HISTALP-Datensatz analysiert, der auf Basis von 38 Wetterstationen erfasst worden ist. Dort finden sich neben sechs Gipfelstationen auch 32 Talstationen, darunter auch städtische Messstationen etwa in Wien und Innsbruck.
Da diese Stationen in die Auswertung miteinbezogen werden, würde auch der Wärmeinseleffekt miteinfließen, sagt Klimatologe Alexander Orlik von der Geosphere Austria. Dieser sei auch schwer aus der Statistik zu eliminieren, allerdings mache er nur einen kleinen Bruchteil vom über die Jahrhunderte beobachteten Temperaturanstieg aus. So lag die Temperaturerhöhung in Wien etwa nur 0,2 Grad Celsius über dem allgemein in Österreich beobachteten Wert. «Der Wärmeinseleffekt erklärt den hohen Anstieg der Gesamttemperatur in Österreich nicht», betonte Orlik.
Dass es über Jahrzehnte zu Veränderungen beim Standort von Messstationen komme, sei natürlich. Einen Trend hin zu städtischen Regionen gebe es allerdings nicht. Man sei bemüht, bei einer Standortänderung vergleichbare Standorte in der Nähe zu finden. Durch eine Homogenisierung der Datensätze würden unnatürliche Sprünge und Einflüsse durch Standortwechsel und Änderungen in den Messmethoden ohnehin in regelmäßigen Abständen korrigiert.
(Stand: 21.09.2023)
Links
DWD - Stadtklimamessungen - Städtische Wärmeinsel (archiviert)
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