Anthroposoph war geimpft

Angebliches Zitat stammt nicht von Rudolf Steiner

28.07.2023, 11:38 (CEST)

Wer eine bestimmte Sache vertritt, sucht häufig Bestätigung in den Schriften bekannter Menschen. Dann sollten die verbreiteten Zitate aber auch stimmen. Das ist hier nicht der Fall.

Impfungen sind im Netz ein breit diskutiertes Thema. Impfkritische Stimmen stützen sich dabei auf ein angebliches Zitat des österreichischen Schriftstellers und Anthroposophen Rudolf Steiner, das im Internet kursiert. Der Gründer der anthroposophischen Medizin soll Folgendes gesagt haben: «Materialistische Mediziner werden den Kindern mit Impfstoffen die Seele austreiben. Man impft gegen die Anlage zur Spiritualität.» Stimmt dieses Zitat? 

Bewertung

Das Zitat ist nicht korrekt und findet sich nicht im Gesamtwerk Rudolf Steiners. Er war zwar impfkritisch, aber er hat sich auch selbst etwa gegen Pocken impfen lassen.  

Fakten

Neu ist die angebliche Aussage nicht. Seit 2018 kursieren auf verschiedenen Plattformen Zitate rund um Rudolf Steiner. Er entwarf die Anthroposophie als eine «Wissenschaft des Geistes», die versucht, das Materielle und das Spirituelle in einer umfassenden, ganzheitlichen Sichtweise zu vereinen. Neben der anthroposophischen Medizin hatte Steiners Arbeit auch Einfluss auf andere Bereiche wie Pädagogik (Waldorfschulen), Landwirtschaft (biodynamische Landwirtschaft) und Kunst.

Die angebliche Aussage lässt sich «so nirgends im Gesamtwerk Rudolf Steiners nachweisen», erklärte das Rudolf Steiner Archiv in der Schweiz auf dpa-Anfrage. Der Archivleiter David Hoffmann sagt, nur der zweite Satz existiere dort in etwas anderer Form. Verschiedene Seiten, die das angebliche Zitat erwähnen, scheinen ungeprüft voneinander abzuschreiben.

In einem als «Vortrag Dornach am 27. Oktober 1917» gekennzeichneten Text Steiners findet sich laut Hoffmann die vermutliche Grundlage für die verzerrte Aussage. Dort heißt es unter anderem: «Das alles tendiert aber dahin, zuletzt das Mittel zu finden, durch das man die Leiber impfen kann, damit sie nicht Neigungen zu spirituellen Ideen aufkommen lassen, sondern ihr ganzes Leben hindurch nur an die sinnenfällige Materie glauben. So, wie man aus den Impulsen, welche die Medizin aus der Schwindelsucht - pardon, verzeihen Sie -, aus der eigenen Schwindsucht heraus gewonnen hat, gegen die Schwindsucht heute impft, so wird man impfen gegen die Anlage zur Spiritualität.»

Mit der Seele habe dies laut dem Experten nichts zu tun. «Hier geht es nota bene nicht um das Austreiben der Seele, sondern darum, dass durch Impfung auf dem Umwege durch die Leiblichkeit der Seele die Hinneigung zur Spiritualität bzw. die Anlage zur Spiritualität und die Neigungen zu spirituellen Ideen ausgetrieben werde – was etwas ganz anderes ist», so David Hoffmann. 

Trotz einer impfkritischen Haltung erkannte Rudolf Steiner die Wirksamkeit der Impfungen in bestimmten Fällen an. Er hielt etwa fest, dass sie tatsächlich dazu beigetragen hätten, Infektionskrankheiten einzuschränken. Er betonte jedoch, dass der Erfolg nicht bei allen Krankheiten gleich gewesen sei (Disputationabend in Zürich, 4. Juni 1921). Archivleiter Hoffmann verweist auf einen Artikel von Wolfgang Held zu «Rudolf Steiner über Impfen», in welchem beschrieben wird, dass Steiner sich selbst und die Kinder in einem anthroposophischen Kinderhort gegen Pocken impfen ließ. 

(Stand 27.07.2023)

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