«Präventivschlag»-Formulierung

Selenskyj distanzierte sich von Übersetzung seiner Aussage

19.07.2023, 14:19 (CEST)

Aus einer Äußerung des ukrainischen Präsidenten zu Atomwaffen, Russland und der Nato zieht manch einer Schlüsse, die nicht haltbar sind.

Seit Jahren führt Russland Krieg in der Ukraine. Der russische Präsident Wladimir Putin hat in diesem Zusammenhang mehrfach auf sein Nuklearwaffenpotential hingewiesen. Aggressor soll laut einem Facebook-Beitrag jedoch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sein. Dieser soll angeblich der Nato vorgeschlagen haben, «einen nuklearen Präventivschlag (Erstschlag) gegen Russland auszuführen». Hat er dies so geäußert?

Bewertung

Die angegebene deutsche und englische Übersetzung ist nicht vollständig korrekt. Nach einem Statement von Selenskyj, das sich auf die Verhinderung eines Atomwaffeneinsatzes durch Russland bezog, relativierte der ukrainische Präsident seine Äußerung. Er stellte klar, dass er sich nicht auf Angriffe bezog.

Fakten

Das Facebook-Posting mit der Behauptung enthält auch ein Bild. Dieser Screenshot stammt aus einem Video mit deutschem Kommentar, in dem wiederum eine Rede des ukrainischen Präsidenten mit englischen Untertiteln besprochen wird. Die Übersetzungen scheinen zu belegen, dass Selenskyj tatsächlich zu einem Präventivschlag aufgerufen hat.

Das Originalinterview mit dem ukrainischen Präsidenten wurde am 6. Oktober 2022 im Rahmen eines Thinktanks beim australischen Lowy Institute in Sydney aufgezeichnet, wo er per Video zugeschaltet wurde. In der Rede geht es unter anderem darum, einen möglichen nuklearen Angriff von Russland abzuwehren. «Was soll die Nato tun? Den Einsatz von Atomwaffen durch Russland unmöglich machen. Wichtig ist aber - ich wende mich wie vor dem 24. (Februar) deshalb an die Weltgemeinschaft - dass es Präventivschläge sind, damit sie wissen, was ihnen blüht, wenn sie sie anwenden», sagte er dort auch laut der englischen Übersetzung im Originalvideo.

Diese Aussage wurde kritisiert. Der Kreml bezeichnete sie als «Aufforderung zum Beginn des Dritten Weltkriegs». Ein Sprecher Selenskyjs stellte später klar, dass der ukrainische Präsident missverstanden worden war: Er wollte lediglich ausdrücken, dass vor dem 24. Februar - dem Start des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine - präventive Maßnahmen hätten ergriffen werden müssen, um den Krieg zu verhindern.

In der englischen Simultanübersetzung spricht der Übersetzer bei Minute 25:29 tatsächlich sowohl von «Präventivschlägen» als auch von «präventiven Handlungen» («preventive strikes», «preventive action»). Es ist nicht eindeutig, ob Selenskyj tatsächlich Angriffe meinte.

In einem Interview mit der BBC am 7. Oktober 2022 bestritt Präsident Selenskyj, dass er zu Angriffen auf Russland aufgerufen habe, und behauptete, eine frühere Bemerkung sei falsch übersetzt worden. «Sie müssen präventive Maßnahmen ergreifen», sagte er und bezog sich dabei auf Sanktionen, «nicht auf Angriffe».

(Stand 18.7.2023)

Links

Facebook Beitrag mit Video (archiviert; archiviertes Video)

dpa-Bericht über die Äußerungen von Selenskyj via «ntv.de» (archiviert)

dpa-Bericht über die Relativierung von Selenskyj via «rnd.de» (archiviert)

Interview Lowy Institut 6.10.2022(archiviert)

Facebook Beitrag Screenshot (archiviert)

Faktencheck Newsweek (archiviert)

BBC-Interview 7.10.2022 (archiviert)

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