Video voller Desinformation

Atmosphäre erwärmt sich seit Industrieller Revolution extrem schnell

14.07.2023, 15:01 (CEST)

Ein Video leugnet die Klimakrise und wirft Menschen Klimahysterie vor. Es enthält aber Falschinformationen zur Erderwärmung und zum Einfluss des Menschen dabei.

«Klimahysteriker» würden der Gesellschaft wichtige «Zahlen, Daten und Fakten» vorenthalten, wird in einem viralen Youtube-Video behauptet. So gebe es eigentlich gar keinen Temperaturanstieg, sondern «lediglich eine Temperaturanpassung hin zur Normalität». Starke Temperaturschwankungen habe es immer schon gegeben. Auch der Anteil von Kohlenstoffdioxid (CO2) in der Atmosphäre habe sich nur «ein wenig erhöht», heißt es. CO2 führe sogar zu einem grüneren Planeten.

Bewertung

Menschliche Aktivitäten haben eine globale Erwärmung von zumindest einem Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau verursacht - das Erdklima wird sich zudem noch weiter erwärmen. Auch der Anteil an CO2 in der Atmosphäre hat sich seit Beginn der Industriellen Revolution gravierend erhöht. Die Klimakrise lässt sich nicht anhand von natürlicher Faktoren erklären. Eine möglicherweise positive Wirkung von CO2 auf Pflanzen spricht nicht gegen die Notwendigkeit, die Emissionen zu reduzieren.

Fakten

Zunächst zum CO2-Gehalt in der Atmosphäre: Dem «State of the Global Climate»-Report der World Meteorological Organization (2021) zufolge ist der Anteil von CO2 bis zum Jahr 2020 auf etwa 413 parts per million (ppm) und bis 2022 auf 417 ppm gestiegen. Ein ⁠ppm⁠ entspricht einem Molekül Kohlendioxid pro einer Million Moleküle trockener Luft. Zu Beginn der Industriellen Revolution lag der CO2-Anteil bei etwa 280 ppm.

Grafiken zeigen, dass die Emissionen in der Mitte des 20. Jahrhunderts noch langsam stiegen, während sie dann etwa ab dem Jahr 1950 in die Höhe schossen. Demnach stieg der CO2-Anteil in der Atmosphäre in den letzten 60 Jahren 100 Mal schneller als beispielsweise am Ende der letzten Eiszeit vor 11 000 bis 17 000 Jahren.

Erwärmung des Erdklimas

Die vom Menschen verursachte Zunahme der atmosphärischen Konzentration von Treibhausgasen nennt man auch anthropogenen Treibhauseffekt. Wie das deutsche Umweltbundesamt ausführt, ist der Treibhauseffekt maßgeblich für die Erwärmung des Erdklimas verantwortlich. Um diese Erwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, ist laut Weltklimarat «eine radikale Reduktion der Treibhausgasemissionen weltweit insbesondere bis 2030 erforderlich.»

Laut dem Sonderbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) aus dem Jahr 2018 wird geschätzt, dass menschliche Aktivitäten eine globale Erwärmung von etwa einem Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau verursacht haben. Wenn sich die Erwärmung weiterhin in der jetzigen Geschwindigkeit erhöht, könnte die Erwärmung zwischen den Jahren 2030 und 2052 1,5 Grad Celsius erreichen, heißt es.

Ein oft zitiertes Paper aus dem Jahr 2017 prognostiziert sogar, dass sich die globale Durchschnittstemperatur bis zum Jahr 2100 wahrscheinlich um zwei bis 4,9 Grad (mit einem Median von 3,2 Grad) erhöhen könnte und dass eine Erhöhung um nur zwei Grad unwahrscheinlich sei.  

Große Wirkung von Temperaturunterschieden

Machen ein paar Grad mehr so einen Unterschied? Das wird im viralen Youtube-Video in Zweifel gezogen. Fakt ist: Jedes halbe Grad Celsius mehr hat gravierende Folgen für Mensch, Tier und Umwelt. Schon heute sieht man die Folgen der Erderwärmung unter anderem am steigenden Meeresspiegel, der Zunahme an Extremwetterereignissen, Bränden, Hitzewellen und Dürren.

Auch die US-Weltraumagentur NASA schreibt in einem Artikel, dass die höheren Temperaturen bereits jetzt für immer größere Teile des Lebens auf der Erde negative Folgen haben, wobei es je nach Region, Ökosystem und Spezies große Unterschiede gibt. Für einige Arten entscheide ein halbes oder ein Grad Celsius mehr über Leben oder Tod, heißt es. Im Übrigen lässt sich dieses Phänomen auch anhand der Körpertemperatur des Menschen veranschaulichen: Für den Fiebertod reichen eine um wenige Grad erhöhte Temperatur.

Wenn die Erwärmung auf 1,5 statt 2 Grad Celsius begrenzt werden könnte, wären zwischen 184 und 270 Millionen weniger Menschen im Jahr 2050 von Wasserknappheit betroffen, steht in einem weiteren NASA-Artikel über den IPCC-Sonderbericht. Würde sich die globale Durchschnittstemperatur hingegen um vier oder fünf Grad Celsius erhöhen, wäre menschliches Leben an vielen Orten der Welt nicht mehr möglich.

Klimakrise ist menschengemacht

Eine weitere gängige Falschbehauptung, die auch im viralen Video aufgestellt wird, lautet: «Seit eh und je gibt es große Schwankungen bei den atmosphärischen Temperaturen unserer Erde». Sie suggeriert, dass die aktuelle Klimakrise nicht vom Menschen verursacht worden bzw. unproblematisch sei. Diese Schlussfolgerung entbehrt jeder Grundlage, da die jetzigen Klimaveränderungen nicht durch natürliche Mechanismen erklärt werden können – «es sind unbestreitbar menschliche Einflüsse, die momentan die Erde aufheizen», schreibt etwa die Informationsplattform Klimafakten.

Die Plattform veranschaulicht es folgendermaßen: «(…) abzuleiten, dass es keine menschenbedingten Klimaänderungen gibt, ist etwa so, als würde man behaupten, Menschen könnten keine Waldbrände verursachen, weil es Waldbrände mit natürlicher Ursache gibt und schon immer gab». Menschenbedingte Klimaänderungen können aber auch externe Effekte auslösen: «Wird die Erde wärmer, verstärken positive Rückkopplungen die (Anm. ursprüngliche) Erwärmung zusätzlich.»

In einem weiteren Artikel erklärt die Plattform, dass natürliche das Klima beeinflussende Faktoren über viel längere Zeiträume wirken, etwa innerhalb von Millionen von Jahren. Zum Vergleich: Der CO2-Anteil in der Atmosphäre schoss wie oben dargelegt innerhalb von nur etwa 70 Jahre massiv in die Höhe. Externe Faktoren wie die «Strahlungsintensität der Sonne, kosmische Strahlung, vulkanische Aktivitäten» haben sich demnach in den letzten Jahrzehnten zudem nicht signifikant verändert.

In einer Zusammenfassung des sechsten IPCC-Sachstandsberichts aus dem Jahr 2021 werden in Grafiken (S. 5) die Klimaveränderungen der vergangenen Jahrzehnte anhand der globalen Oberflächentemperatur simuliert. Zwischen den Jahren 1 bis 1850 wurden die Änderungen der globalen Oberflächentemperatur rekonstruiert, seit 1850 beobachtet.

Dabei zeigt sich erstens (Tafel b), dass sich die aktuell beobachtete Erwärmung nur dann abbilden lässt, wenn man zusätzlich zu den natürlichen auch die menschlichen Faktoren hinzurechnet. Würde man nur die natürlichen Faktoren hernehmen, hätte sich die Temperatur in den letzten 170 Jahren kaum erhöhen dürfen bzw. teilweise sogar verringern müssen.

Aus Tafel a geht hervor, dass es – ähnlich wie im viralen Video angedeutet - in der Vergangenheit tatsächlich Phasen mit höheren Temperaturen gegeben hat. In der Erwärmungsphase des letzten Jahrhunderts stieg die Temperatur demnach auf ein ähnliches Niveau wie vor etwa 6 500 Jahren während der aktuellen Warmzeit (Holozän). Das war der wärmste mehrere Jahrhunderte lange Zeitraum in den letzten 100 000 Jahren. Auch in der Warmzeit vor etwa 125 000 Jahren habe es Zeiträume mit höheren Temperaturen gegeben.

Gegen die Klimakrise sprechen diese Wärmephasen aber nicht. Es gilt nämlich auch hier, dass sich die Wechsel der Phasen über viel längere Zeiträume erstreckten als es heute der Fall ist. So hat sich das Klima laut IPCC aktuell in nur wenigen Jahrzehnten in einem Maße erwärmt, wie es seit mindestens 2000 Jahren nicht mehr der Fall war.

Die Info-Plattform Klimafakten schreibt außerdem, dass die sogenannte Mittelalterliche Warmzeit (ca. 900 bis 1400 n. Chr.) ein «eher regionales Phänomen» gewesen sei und dass die Phase auftrat, als «die Sonnenstrahlung leicht erhöht und die Vulkanaktivität niedrig» war. Beides seien bekannte Erwärmungsfaktoren.

Wirkung von CO2 auf Pflanzen

Die Behauptung, mehr CO2 führe zu einem grüneren Planeten, geht möglicherweise auf eine wissenschaftliche Publikation aus dem Jahr 2016 zurück, der zufolge die Erde seit den 1980er Jahren deutlich grüner geworden sei. Einige der Autorinnen und Autoren stellten allerdings später klar, dass ihr Papier nicht als Argument gegen Emissionsminderungen zu verwenden sei.

Denn es sei unklar, wie lange der «Ergrünungs»-Trend bei weiter steigender CO2-Konzentration anhalten werde. Es stehe fest, dass «die Vorteile einer grüner werdenden Erde hinter den voraussichtlichen negativen Auswirkungen von Extremwetterereignissen», wie etwa Dürren, Hitzewellen, Überschwemmungen, dem Anstieg des Meeresspiegels oder der Versauerung der Meere, zurückbleiben.

Auf der Webseite Klimafakten heißt es zudem, dass zwar ein «vermehrtes Angebot von Kohlendioxid» die Photosynthese wie behauptet anrege, Experimente aber gezeigt hätten, dass der sogenannte «CO2-Düngeeffekt» oft keine oder nur eine vorübergehende Wirkung auf das Wachstum habe. Andere negative Faktoren der Klimakrise würden bei dieser Annahme vernachlässigt.

«Salopp gesagt wird vielen Pflanzen ein höherer CO2-Gehalt in der Luft auch deshalb keine großen Vorteile bieten, weil sie künftig häufiger versengen und verdorren», heißt es. Der mögliche Düngeeffekt durch höhere CO2-Konzentrationen sei also im Vergleich mit anderen Umweltfaktoren, «vernachlässigbar».

(Stand: 14.7.2023)

Links

Aktueller «State of the Global Climate»-Report (archiviert)

Climate.gov (archiviert)

Umweltbundesamt über IPCC-Bericht (archiviert)

Zusammenfassung des IPCC-Berichts (archiviert)

Deutsches Umweltbundesamt zu Treibhauseffekt (archiviert)

Zusammenfassung des IPCC-Sonderberichts «Global Warming of 1.5°C» (archiviert)

Artikel in «Nature Climate Change» (archiviert)

NASA-Artikel 1 über Folgen von Erwärmung (archiviert)

NASA-Artikel 2 über Folgen von Erwärmung (archiviert)

Artikel des «Moment»-Magazins (archiviert)

«Klimafakten» über Klimaveränderungen (archiviert)

«Klimafakten» über aktuelle Erderwärmung (archiviert)

Zusammenfassung des sechsten IPCC-Sachstandsberichts (archiviert)

«Klimafakten» über Mittelalterliche Warmzeit (archiviert)

Wissenschaftliche Publikation «Greening of the Earth and its drivers» (archiviert)

Stellungnahmen von Autorinnen und Autoren zu Publikation (archiviert)

Klimafakten zu Behauptungen rund um CO2 und Pflanzen (archiviert)

YouTube-Video (archiviert, Video archiviert)

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