Tweet fehlinterpretiert

Greta Thunberg warnte nie vor Weltuntergang im Jahr 2023

28.06.2023, 18:08 (CEST)

Um die Bedrohungen durch den Klimawandel kleinzureden, wird oft in die rhetorische Trickkiste gegriffen. Nun wird ein Thunberg-Tweet verbreitet, der etwas komplett anderes aussagt, als behauptet wird.

Auf die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg reagieren zahlreiche Menschen mit Abneigung und Polemik. Was die Schwedin sagt und schreibt, wird von ihnen oft in die Waagschale geworfen. In einem Video macht sich etwa ein heimischer Privatsender über einen Tweet der Klimaaktivistin lustig. Dem Begleittext zufolge prognostizierte Thunberg im Jahr 2018, dass alle Menschen am 21. Juni 2023 sterben müssten. Auch staatlich geförderte Boulevardmedien berichteten davon.

Bewertung

Weder Thunberg noch die von ihr zitierte Quelle wiesen mit dieser Aussage auf ein drohendes Ende der Menschheit im Jahr 2023 hin. Vielmehr warnten sie davor, dass die Menschheit bedroht sei, wenn sie nach 2023 weiter fossile Brennstoffe nutze.

Fakten

Dem Posting zufolge soll Thunberg am 21. Juni 2018 auf Twitter geschrieben haben: «Ein führender Klimawissenschaftler warnt davor, dass der Klimawandel die gesamte Menschheit auslöschen wird, wenn wir in den nächsten fünf Jahren nicht auf die Nutzung fossiler Brennstoffe verzichten.» Tatsächlich verfasste die Klimaaktivistin damals diesen Tweet, der mittlerweile gelöscht ist.

Allerdings erklärte Thunberg damit nicht das in fünf Jahren drohende Ende der Menschheit. Sie verwies lediglich darauf, dass ein Umdenken bei der Nutzung fossiler Brennstoffe dringend nötig sei. Dabei zitierte die damals 15-Jährige den Einstieg in einen Artikel bei gritpost.com, dem ein Vortrag des Klimawissenschaftlers James Anderson zugrunde lag.

Der Artikel ist zwar heute nicht mehr online, in Internet-Archiven aber immer noch abrufbar. Der Einstiegssatz beschwört freilich nicht das Ende der Menschheit im Jahr 2023 herauf. Er warnt vielmehr davor, dass die gesteckten Klimaziele nicht weit genug gehen könnten und dass die Menschheit bedroht sei, wenn sie nicht bis 2023 ohne die Nutzung fossiler Brennstoffe auskommt.

Andersen wies in seiner bei gritpost.com behandelten «Benton Lecture» vom 11. Jänner 2018 an der Universität von Chicago darauf hin, dass dem Marshallplan zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg ähnliche Anstrengungen bis 2023 nötig sein könnten, um das komplette Abschmelzen der Polkappen zu verhindern. Der Harvard-Experte auf dem Gebiet der Atmosphärenforschung sprach niemals von der Auslöschung der Menschheit innerhalb von fünf Jahren.

Den Faktencheckern der Nachrichtenagentur AP erklärte Anderson im März 2023 auf Nachfrage, dem Publikum seiner Rede in Chicago sei klar gewesen, dass sich seine Aussage «auf das schwimmende Eisvolumen bezog». Eine «völlig verzerrende» Behauptung zu einer angeblichen Auslöschung der Menschheit innerhalb von fünf Jahren würde er niemals treffen, stellte Anderson damals klar.

Anderson warnte bei seinem Vortrag in Chicago lediglich eindringlich vor einem kompletten Abschmelzen der Polkappen. Dieses Szenario ist ein sogenannter Kipppunkt. Einem Papier des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung von 2019 zufolge stellen diese Kipppunkte «gravierende Risiken für die Menschheit dar». Ein Erreichen oder Überschreiten könnte Domino-Effekte auf das Weltklima zur Folge haben. Demnach drohen sechs Kipppunkte bereits bei 1,5 bis 2 Grad Celsius globaler Erwärmung überschritten zu werden.

(Stand: 28.6.2023)

Links

Facebook-Posting mit Video (archiviert) (Video archiviert)

Kurier-Artikel zu Medienförderung (archiviert)

exxpress-Artikel zum Tweet (archiviert)

Thunbergs gelöschter Tweet (archiviert)

Nicht mehr verfügbarer Artikel bei gritpost.com (Original archiviert)

Andersens Präsentation vom 11.1.2018 (nur archiviert)

Der Marshallplan in Österreich (archiviert)

Forbes-Artikel zu Andersons Präsentation (archiviert)

Andersens Profil bei der Harvard University (archiviert)

AP-Faktencheck zum Thema (archiviert)

PIK-Papier über Kipppunkte im Klimasystem (archiviert)

Spiegel-Artikel zu Kipppunkten (archiviert)

Forschungsartikel zu gefährdeten Kipppunkten (archiviert)

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