Daten fehlinterpretiert

Zahl der Wohnungslosen beinhaltet auch großen Teil an Nicht-Deutschen

21.03.2023, 15:13 (CET)

Immer wieder liest man, die Politik unterstütze lieber Flüchtlinge, statt sich um die Nöte der Einheimischen zu kümmern. In diese Richtung schießt auch ein Sharepic, das seit längerer Zeit viral die Runde macht. Dort heißt es: «400 000 Deutsche ohne Wohnung und festen Mietvertrag - und die SPD wirbt für Familiennachzug von Flüchtlingen.» Diese Behauptung ist jedoch nicht ganz korrekt.

Bewertung

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales geht aktuell von rund 263 000 Wohnungslosen in Deutschland aus. 400 000 Wohnungslose sind dennoch eine realistische Schätzung, allerdings handelt es sich dabei weit nicht ausschließlich um deutsche Staatsbürger.

Fakten

Das deutsche Bundesministerium für Arbeit und Soziales gab im Rahmen des Wohnungslosenberichterstattungsgesetzes (WoBerichtsG) im Jahr 2022 Zahlen zur Wohnungslosigkeit in Deutschland bekannt. Mit Stichtag 31. Jänner 2022 ging das Ministerium laut Wohnungslosenbericht 2022 von etwa 263 000 Wohnungslosen aus. Diese Zahl basiert auf einer Datenerhebung des Statistischen Bundesamts der untergebrachten wohnungslosen Menschen sowie auf hochgerechneten stichprobenartigen Befragungen.

Mit untergebracht wohnungslosen Personen, verdeckt wohnungslosen Personen und wohnungslosen Menschen ohne Unterkunft werden im Bericht drei Gruppen unterschieden. Demnach gab es am 31. Januar 2022 insgesamt 178 100 untergebrachte wohnungslose Personen, die etwa in vorübergehenden Übernachtungsmöglichkeiten oder in Not- und Gemeinschaftsunterkünften untergekommen sind. 49 300 verdeckt wohnungslose Personen kamen bei Freunden oder Bekannten unter. Rund 37 400 Menschen lebten «auf der Straße oder in Behelfsunterkünften», heißt es im Bericht. Bei weiteren Formen der Wohnungslosigkeit, wo Menschen mangels Wohnraums etwa in Gewaltschutzeinrichtungen, Haftanstalten oder Gesundheitseinrichtungen lebten, werde geprüft, inwiefern diese zukünftig berücksichtigt werden könnten.

Der Bericht des Ministeriums weist nicht nur Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit aus. 29 Prozent der untersuchten wohnungslosen Personen hätten eine andere Staatsangehörigkeit oder seien staatenlos, heißt es in dem Bericht. Ein Drittel der wohnungslosen Personen ohne Unterkunft und ein Viertel der verdeckt wohnungslosen Personen seien Ausländer oder Staatenlose.

BAG Wohnungslosenhilfeveröffentlicht regelmäßige Schätzungen

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) hält die Zahlen im Wohnungslosenbericht für zu niedrig, begrüßt aber die Berichterstattung des Ministeriums. «Da das Statistische Bundesamt selbst die Zahl der wohnungslosen anerkannten Geflüchteten für untererfasst hält, kann davon ausgegangen werden, dass die Ergebnisse der Erhebungen und die Schätzung der BAG W nicht sehr weit auseinanderliegen», heißt es in einer Pressemitteilung zu den unterschiedlichen Angaben von BAG W und Ministerium.

Die BAG W veröffentlicht regelmäßige Schätzungen zur Anzahl der Wohnungslosen in Deutschland. Dazu zählt laut BAG W jeder, der nicht über einen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum oder Wohneigentum verfügt. Hier werden allerdings zwei verschiedene Werte erhoben, einerseits die Stichtagszahl an einem gesetzten Datum und andererseits die Jahresgesamtzahl, bei der auch wohnungslose Menschen vor oder nach dem Stichtag erfasst werden sollen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft schätzte die Zahl aller wohnungslosen Menschen in Deutschland an einem Stichtag Ende Jänner für 2020 auf 306 000 Personen.

Die jüngste Schätzung aus dem Dezember 2021 für die Jahre 2019 und 2020 legt nahe, dass der im Sharepic erwähnte Wert realistisch sein könnte. Denn im Verlauf des Jahres 2020 waren demnach circa 417 000 Menschen in Deutschland wohnungslos.

Auch BAG W-Zahlen umfassen nicht nur Deutsche

Auch die Zahlen der BAG W-Berichte umfassen nicht ausschließlich deutsche Staatsbürger. Dies bestätigte eine Sprecherin auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Alle wohnungslosen Personen werden unabhängig ihrer Staatsangehörigkeit in die Schätzung miteinbezogen. In der Schätzung für 2020 beziffert die BAG W etwa den Anteil von wohnungslosen anerkannten Geflüchteten auf knapp 161 000 Personen an der Jahresgesamtzahl. Das sind etwa 39 Prozent.

Die Grundlage für die Behauptung, dass 400 000 Deutsche wohnungslos seien, könnte ein Bericht von «Focus Online» aus dem Jahr 2017 sein. Dort steht im Titel: «400 000 Deutsche ohne Wohnung». Das Sharepic kursiert mindestens seit Oktober 2020.

(Stand: 21.3.2023)

Links

WoBerichtsG (archiviert)

BMAS-Wohnungslosenbericht 2022 (archiviert)

Pressemitteilung zur Vorstellung des Berichts (archiviert)

BAG W zu Wohnungslosenbericht (archiviert)

Über die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (archiviert)

Aktuelle Schätzung für die Jahre 2019 und 2020 (archiviert)

Pressemitteilung zur Schätzung (archiviert)

«Focus Online»-Artikel aus dem Jahr 2017 (archiviert)

Facebook-Post (archiviert / Sharepic)

Facebook-Post von 2020 (archiviert)

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