Korruption in Kriegszeiten

Keine Hinweise auf systematische Veruntreuung von EU-Geldern in der Ukraine

13.03.2023, 16:48 (CET), letztes Update: 13.03.2023, 17:32 (CET)

Korruption in der Ukraine ist immer wieder Thema: In Saporischja gibt es den Verdacht des Diebstahls von Hilfsgütern. Die Aussage, fast die gesamte EU-Hilfe sei Korruption zum Opfer gefallen, ist aber falsch.

Prorussische Kreise streuen regelmäßig Gerüchte über Korruptionsvorwürfe in der Ukraine. Zuletzt wurde etwa in einem Facebook-Beitrag behauptet, angeblich fast die gesamte EU-Hilfe in der Ukraine sei der Korruption zum Opfer gefallen. Konkret ist die Rede von Waren im Wert von 342 Millionen Euro, die gestohlen worden sein sollen. Als Quelle wird die Staatengruppe gegen Korruption (Greco) genannt. In der ukrainischen Region Saporischja seien ebenfalls humanitäre Güter missbräuchlich verwendet worden.

Bewertung

Für eine Veruntreuung von EU-Geldern in dieser Höhe gibt es keine Hinweise. Es ist keine derartige Veröffentlichung von Greco bekannt. Die EU hat für humanitäre Hilfe deutlich mehr Geld zur Verfügung gestellt als angegeben. Es gibt jedoch den Verdacht des Diebstahls von Hilfsgütern in Saporischja.

Fakten

Die Inhalte des Facebook-Postings gehen wohl zurück auf einen Blog-Artikel von September 2022. Es werden darin dieselben Zahlen genannt, auch Formulierung und Wortwahl sind beinahe identisch.

Das Greco-Gremium gibt seinen 50 Mitgliedstaaten Empfehlungen, um gegen Bestechung und Korruption in Politik, Justiz und anderen Institutionen vorzugehen. Dazu veröffentlicht es in regelmäßigen Abständen Berichte. Es gehört zum Europarat mit Sitz im französischen Straßburg. Dieser setzt sich für den Schutz der Menschenrechte ein und ist kein Organ der Europäischen Union.

Der aktuellste Bericht von Greco zur Ukraine wurde im Dezember 2021 von den Mitgliedern angenommen und im April 2022 veröffentlicht. Darin wird keine der genannten Zahlen genannt.

Greco teilte der Deutschen Presse-Agentur (dpa) auf Anfrage im September 2022 mit, zuletzt keinen Bericht und kein Statement veröffentlicht zu haben, die eine Beurteilung der Hilfsleistungen für die Ukraine enthalten. Seither wurde auch kein weiterer Bericht zur Ukraine veröffentlicht, wie aus einer Auflistung der Presseaussendungen auf der Webseite hervorgeht. Eine Suche im Meldungsarchiv der dpa und der APA führt genauso wenig zu Treffern wie eine Suche nach anderen Medienberichten.

Für die Behauptung, dass die EU der Ukraine von März bis August 2022 humanitäre Güter im Wert von mehr als 360 Millionen Euro zukommen habe lassen, findet sich keine Quelle. Es ist davon auszugehen, dass die tatsächliche Summe deutlich höher liegt: Unter dem Punkt «humanitäre Hilfe» listet die EU seit Kriegsbeginn 630 Millionen Euro für die Ukraine auf. Damit wird die Ukraine bei der Beschaffung von Nahrung und Unterkünften sowie bei der Gesundheitsvorsorge unterstützt.

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft gibt in dem Bereich höhere Zahlen an: Die Forscherinnen und Forscher erklären in ihrem «Ukraine Support Tracker», dass die EU-Institutionen 1,6 Milliarden Euro an humanitärer Hilfe aufgewendet hätten. Die Angabe bezieht sich auf den Zeitraum zwischen 24. Jänner 2022 und 15. Jänner 2023.

Darüber hinaus sind nach EU-Angaben 330 Millionen Euro in ein weiteres Nothilfeprogramm geflossen sowie weitere 192 Millionen Euro über andere Projekte zur Verfügung gestellt worden. Insgesamt würden die EU und ihre Finanzinstitutionen 37,8 Milliarden Euro bereitstellen, um die «wirtschaftliche, soziale und finanzielle Stabilität der Ukraine zu unterstützen».

Im Social Media-Beitrag wird noch ein weiterer Vorwurf der Korruption thematisiert: In der südlichen Region Saporischja seien Schiffscontainer, Eisenbahnwaggons und Lastwagen mit humanitärer Hilfe aus der EU gestohlen worden. Das hätte der «Beauftragte des Antikorruptionsbüros der Ukraine», Yevhen Shevchenko, gesagt, wird mit einem angeblichen Video von Shevchenko behauptet. Hauptverdächtig seien der Chef des Präsidentenbüros, Andrij Jermak sowie Oleksandr Starukh, der Gouverneuer von Saporischja.

Es stimmt, dass es den Verdacht des Diebstahls bzw. der missbräuchlichen Verwendung von Hilfsgütern in Saporischschja gab. Das berichtete etwa der offizielle Sicherheitsdienst der Ukraine am 30. August 2022 auf seiner Webseite. Der ukrainische Inlandsgeheimdienst (SBU) und die Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine (NABU) haben demnach eine große Menge Bargeld, nicht registrierte Schusswaffen und betäubungsmittelähnliche Substanzen gefunden.

In ukrainischen Medienberichten wurde zudem dieselbe Anzahl an vermeintlich gestohlenen Gütern genannt wie im Facebook-Beitrag. Deren Richtigkeit lässt sich aber nicht überprüfen.

Der Gouverneuer von Saporischja wurde Ende Jänner 2023 auch zusammen mit weiteren ukrainischen Regierungsmitgliedern und Gouverneuren in Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen entlassen. Darüber gibt es ebenfalls Medienberichte (hier, hier). Der Chef des Präsidentenbüros ist weiter im Amt.

Der angebliche «Beauftragten des Antikorruptionsbüros der Ukraine», Yevhen Shevchenko, («Євген Шевченко») wurde hier aber mit einer Person mit sehr ähnlichem Namen verwechselt. Die Person in dem Video heißt eigentlich Evgeny Shevchenko («Евгений Шевченко») und ist ukrainischer Politiker und Jurist. Das im Posting gezeigte Video ist fast zwei Jahre alt und handelt nicht von den Korruptionsvorwürfen in Saporischschja.

Ein ukrainischer Medienbericht verlinkt auf ein Facebook-Posting von Yevhen Shevchenko von 30. August 2022, in dem er von der Durchsuchung der NABU in Saporischschja berichtet. Das Profil dürfte authentisch sein.

(Stand: 13.3.2023)

Links


Webseite Staatengruppe gegen Korruption (Greco) (archiviert)

Informationen über Greco und den Europarat (archiviert)

Aktuellster Bericht von Greco zur Ukraine (archiviert)

Aktuelle Presseaussendungen von Greco (archiviert)

Suche bei Google nach Medienberichten (archiviert)

Hilfe der EU für Ukraine (archiviert)

Webseite «Ukraine Support Tracker» (archiviert)

Datensatz des «Ukraine Support Trackers» (Download) (archiviert)

Aussendung des Sicherheitsdienstes der Ukraine (archiviert)

Ukrainischer Medienbericht über Verdacht der missbräuchlichen Verwendung von Hilfsgütern in Saporischschja (archiviert)

Bericht der ukrainischen Nachrichtenagentur Ukrinform über Saporischschja (archiviert)

APA-Bericht über Entlassung der Gouverneure (archiviert)

Youtube-Video von Evgeny Shevchenko (archiviert, Video archiviert

Ukrainischer Medienbericht über Verdacht der missbräuchlichen Verwendung von Hilfsgütern in Saporischja (archiviert)

Facebook-Posting von Yevhen Shevchenko (archiviert)

Ukrainischer Medienbericht über Yevhen Shevchenko (archiviert)

Blog-Artikel (archiviert

Beitrag bei Facebook (archiviert, Video archiviert

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