Falsche Zahlen

Behauptungen zum Betreuungsschlüssel aus der Luft gegriffen

16.02.2023, 13:40 (CET), letztes Update: 16.02.2023, 13:47 (CET)

Menschen brauchen aus verschiedensten Gründen Hilfe. Der Neid auf Flüchtlinge, die im Vergleich zu Kranken und Alten deutlich intensiver betreut werden sollen, ist unbegründet: Die Zahlen sind falsch.

Obwohl sie oftmals ihre Familien sowie ihr Hab und Gut zurücklassen mussten, sind Migranten hierzulande Anfeindungen aller Art ausgesetzt. In sozialen Medien wird etwa kritisiert, dass Flüchtlinge ein engmaschiges Betreuungsnetz genießen, während Patienten in der Kranken- und Altenpflege im Vergleich dazu deutlich zu kurz kämen. Angeblich kümmern sich zwei Sozialarbeiter um fünf Flüchtlinge, kommen in der Krankenpflege angeblich zwei Pfleger auf 30 Patienten, in der Altenpflege sogar nur halb so viele.

Bewertung

Pflege ist in Österreich Ländersache und wird in jedem Bundesland unterschiedlich geregelt. So sind auch die Betreuungsschlüssel und deren Berechnungen unterschiedlich. Das im Posting behauptete Verhältnis zwischen Sozialarbeitern und Migranten ist unterdessen völlig überzogen.

Fakten

Der Betreuungsschlüssel für Migranten variiert von Bundesland zu Bundesland. Er orientiert sich an der Grundversorgung und variiert je nach betreuter Gruppe. In jedem Fall liegt er deutlich über dem behaupteten Schlüssel von 1:2,5. Selbst im günstigsten Fall – das bedeutet für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Wohngruppen – liegt er bei 1:10.

Auf Minderjährige in Wohnheimen (die zumindest in Wien häufigste Art der Unterbringung) wird ein Schlüssel von 1:15 angewandt, im betreuten Wohnen liegt er bei 1:20. Für geflüchtete Familien sowie Erwachsene erhöht sich der Betreuungsschlüssel in Wien deutlich auf 1:55, also mehr als das Zwanzigfache der Behauptung im Posting.

Laut Pflegebericht des Rechnungshofes von 2020 liegt der Betreuungsschlüssel in österreichischen Pflegeheimen im Schnitt bei ungefähr 1:2,3 (33 012 Vollzeitäquivalente auf 74 710 stationär betreute Personen). Der Rechnungshof definierte 2018 ein Musterheim mit 71 Betten und ermittelte dafür den Mindestpersonalstand für Pflege und Betreuung in den einzelnen Ländern. Auf diese 71 Patienten kamen demnach im Burgenland 21,9 Vollzeitäquivalente an Betreuenden, in Wien 45,7.

Ohne Pflegeassistenz und Heimhilfen lagen die Werte in den Bundesländern zwischen knapp sechs diplomierten Pflegekräften in Kärnten und knapp 14 in Vorarlberg. Das entspricht einem Schlüssel von knapp 1:10 bis knapp 1:5. In Wien liegt der Mindestbetreuungsschlüssel zwischen 1:1 in der höchsten Pflegegeldstufe und 1:20 in der niedrigsten.

An diesen Schlüsseln gibt es immer wieder Kritik, da sie teilweise seit Jahrzehnten unverändert sind, sich Aufwand und Bedürfnisse allerdings erhöht haben. Dennoch können im Posting behauptete Werte schlimmstenfalls im Nachtdienst mancher Pflegeheime erreicht werden.

Die Berechnung eines Betreuungsschlüssels in Krankenhäusern ist deutlich schwieriger. Laut Informationen der Arbeiterkammer Oberösterreich fußt sie zwar auf dem Krankenanstalten-und-Kuranstalten-Gesetz, dieses bleibt dabei allerdings sehr vage. Berechnet wird oft auf Basis der Personalpflegeregelung, doch auch in der Krankenhauspflege wird über akute Unterbesetzung geklagt.

Laut einem umfassenden Forschungsbericht der Arbeiterkammer Oberösterreich (AKOÖ) kommen in Oberösterreich im Schnitt 10,55 Patienten auf eine diplomierte Krankenpflegekraft. Der Betreuungsschlüssel bewegt sich demnach je nach untersuchter Station und Uhrzeit zwischen 1:3,5 und 1:35.

(Stand: 15.2.2023)

Links

Facebook-Posting (archiviert)

RH-Pflegebericht (archiviert)

Wiener Wohn- und Pflegeheimgesetz (archiviert)

Kritik an Pflegeschlüsseln (archiviert)

KAKuG (archiviert)

Informationen zur PPR (archiviert)

Forschungsbericht der AKOÖ (archiviert)

GVG-B 2005 (archiviert)

IOM-Papier zur Grundversorgung (archiviert)

Publikation der Volkshilfe zu Flüchtlingen (archiviert)

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