Irreführender Vergleich

Herztode unter Sportlern 2021 im statistischen Normalbereich

18.01.2023, 16:05 (CET)

Immer wieder wird im Netz behauptet, Impfungen seien für viel mehr Todesfälle verantwortlich als bekannt. Im aktuellen Fall wird eine unseriöse Auflistung mit echten Forschungsergebnissen verglichen.

Der Herzstillstand von US-Footballprofi Damar Hamlin vor laufenden Kameras am 2. Jänner 2023 zog eine Welle der Spekulationen über die Ursache nach sich. Sportler, die Herzattacken erleiden oder daran sogar sterben, sind seither noch mehr im Fokus von Impfgegnern – auch rückwirkend. Eine vielfach geteilte Statistik dazu lässt nun aufhorchen: Im Jahr 2021 sollen genauso viele Sportler Herzanfälle erlitten haben wie in einer Zeitspanne von fast 40 Jahren.

Bewertung

Der Vergleich ist irreführend. Die zitierte Studie befasste sich mit einer definierten Gruppe von Sportlern, während die zum Vergleich herangezogene Website ohne wissenschaftliches Fundament Menschen aller Alters- und Berufsgruppen mit sportlichem Bezug auflistet. Zudem ist der Zeitraum bei Facebook falsch wiedergegeben. Mehrere Sportkardiologen bestätigten, dass sie in den vergangenen Jahren keinen Anstieg bei Herztoden unter Athleten beobachteten.

Fakten

Im begleitenden Text zum Sharepic wird der Kardiologe Peter A. McCullough erwähnt. McCullough trug die ihm zugeschriebenen Daten allerdings nicht selbst zusammen, sondern erwähnte sie lediglich in einem Brief an das «Scandinavian Journal of Immunology».

Bei den Totenzahlen in der Zeitspanne von 1966 bis 2004 beruft sich der als Covid-Maßnahmenkritiker bekannte McCullough auf die 2006 veröffentlichte, vom Internationalen Olympischen Komitee mitgetragene Studie «Sudden cardiac death in athletes: the Lausanne Recommendations». Diese hatte sich mit plötzlichem Herztod bei Sportlern unter 35 Jahren auseinandergesetzt.

Die Studienautoren werteten aus, dass in der genannten Zeitspanne 1 101 Sportler einen plötzlichen Herztod gestorben waren, deutlich mehr als Nicht-Sportler. Auslöser dafür waren demnach in den meisten Fällen angeborene Herzfehler.

Die von McCullough verbreiteten aktuellen Zahlen wurden indes in keiner Studie veröffentlicht. Der zugrunde liegende Text der Website goodsciencing.com, die sich selbst als «Real Science» bezeichnet, sammelt seit Anfang 2021 Fälle von verstorbenen oder erkrankten Sportlern. Die Auflistung beinhaltet von Volksschulkindern bis zur 86-jährigen Baseball-Legende Hank Aaron eine sehr weit gespannte Definition von Sportlern.

Auch bei der Todesursache beschränkt sich die Aufzählung nicht auf Herzerkrankungen. So findet sich als eines der prominentesten Beispiele der brasilianische Jahrhundertfußballer Pelé, der (allerdings erst nach Veröffentlichung des Briefes) Ende 2022 an den Folgen einer Darmkrebserkrankung verstarb.

Während bei Pelé öffentlich bekannt ist, dass er sich im März 2021 gegen Corona impfen ließ, ist bei den meisten Personen in der Liste der Impfstatus nicht bekannt. Dafür lieferten deren Verfasser auch eine Begründung: Man kenne den Impfstatus der Sportlerinnen und Sportler meist nicht, weil Vereine, Sponsoren und Familien ein Interesse daran hätten, diesen nicht zu veröffentlichen.

Die Webseite wird immer noch aktualisiert und speist sich auch durch Einreichungen von Lesern. Factcheck.org hatte bereits im Dezember 2021 die berühmtesten und spektakulärsten Fälle unter die Lupe genommen, darunter auch einen Fall von Suizid.

Selbst aus Österreich gibt es mehrere Einträge. Abzüglich der Einträge ohne Todesfolge, wie jener von Bobfahrerin Katrin Beierl, die im Sommer 2022 einen Schlaganfall erlitten hatte, bleiben exakt 1 011 Verstorbene in der Liste. Diese Zahl veranlasste McCullough zum auf vielen Ebenen fragwürdigen Vergleich mit der Studie aus 2006.

Auf dem Facebook-Sharepic wird zudem behauptet, McCullough beziehe sich nur auf das Jahr 2021. Er selbst gibt als Vergleichszeitraum jedoch Januar 2021 bis zum Verfassen seines Briefes Ende 2022 an. Andere Maßnahmenkritiker, wie die Ärztin Simone Gold, zitierten McCullough hier korrekt.

Aktuelle Zahlen aus den USA belegen, dass sich die Zahlen auf einem gleichbleibenden Niveau bewegen. Laut dem National Center for Catastrophic Sport Injury Research an der Universität von North Carolina starben im Schuljahr 2020/21 21 Athleten bei der Ausübung ihres Sports. In den Schuljahren davor waren es 19, 25 und 21 Tote.

Curt Daniels, Sportkardiologe am Ohio State University College of Medicine, erklärte kürzlich gegenüber factcheck.org, es gebe keine Anzeichen dafür, dass Covid-Impfungen vermehrt plötzliche Herztode bei Sportlern auslösen würden. Auch keiner seiner Kollegen in den gesamten USA hätte dies beobachtet.

(Stand: 17.1.2023)

Links

dpa-Faktencheck zu Hamlin

Facebook-Posting (archiviert)

McCulloughs Brief (nur archiviert)

Analyse eines Interviews mit Joe Rogan (archiviert)

Studie aus 2006 (archiviert)

Artikel derstandard.at zu Herztod im Sport (archiviert)

Liste bei goodsciencing.com (archiviert)

Artikel derstandard.at zu Pelés Tod (archiviert)

Tweet mit Foto von Pelés Impfung (archiviert)

Artikel factcheck.org vom Dezember 2021 (archiviert)

Artikel kleinezeitung.at zu Beierl (archiviert)

Tweet von Simone Gold (archiviert)

NCCSIR-Report 2021 (archiviert)

NCCSIR-Report 2020 (archiviert)

NCCSIR-Report 2019 (archiviert)

NCCSIR-Report 2018 (archiviert)

Artikel factcheck.org vom Jänner 2023 (archiviert)

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