Historische Messverfahren

CO2-Gehalt in der Luft seit dem 19. Jahrhundert enorm angestiegen

16.9.2022, 19:40 (CEST)

Die Beweislast für den Klimawandel ist erdrückend. Doch das hält einzelne nicht davon ab, immer wieder angebliche Gegenbeweise zu präsentieren - auch wenn diese auf überholten Messverfahren beruhen.

Im Internet ist oft von der großen Klimalüge zu lesen: Es gebe keinen menschengemachten Klimawandel, am weltweiten Temperaturanstieg ist unser Handeln nicht schuld. Immer wieder werden dafür vermeintliche Belege vorgelegt, beispielsweise ein «Auszug aus einem wissenschaftlichen Buch aus 1857». Darin ist der CO2-Gehalt in der Atmosphäre mit 0,04 Prozent angegeben. Angeblich sehe man daran, dass es «in den letzten fast 200 Jahren keinen Anstieg» der Konzentration gegeben habe.

Bewertung

Die in dem Buch genannten Werte sind überholt und beruhen auf fehlerhaften Messverfahren im 19. Jahrhundert. Inzwischen kann man die Zusammensetzung der Atmosphäre sehr viel präziser bestimmen - nicht nur die aktuelle, sondern auch jene vergangener Zeiten.

Fakten

Bei dem zitierten Buch aus 1857 handelt es sich um den 2. Band der 2. Auflage von Meyers Konversations-Lexikon - einer lexikalischen Buchreihe, die in den 1980er Jahren mit dem Brockhaus-Verlag fusionierte. Diese Nachschlagewerke wurden etwa im Zehn-Jahres-Rhythmus neu aufgelegt und die darin enthaltenen Informationen bei Bedarf aktualisiert.

Die im Posting zitierte Passage fand bereits in die erste Ausgabe von Meyers Lexikon 13 Jahre zuvor Eingang. Grundlage dafür war die damals präziseste Messreihe, die Ende der 1820er-Jahre vom Schweizer Naturforscher Nicolas Theodore de Saussure entwickelt wurde. Der österreichische Chemiker Heinrich Hlasiwetz beschrieb das Verfahren mittels eines Ballons, der mit Barytwasser gefüllt wurde, im Jahr 1856 detailliert.

De Saussures Messmethode galt lange Zeit als das Maß der Dinge. Allerdings konnte der Schweizer den CO2-Anteil der Luft nur mit damals verfügbaren Hilfsmitteln messen. Er ermittelte den CO2-Anteil der Luft jahrelang in hunderten Versuchen, meist nahe dem Genfer See. «10 000 Volumtheile Luft enthalten 4,15 Volumenth Kohlensäure, nach einem Mittel aus 104 Beobachtungen», schrieb de Saussure 1830. Dieser Mittelwert fand Eingang in Fachliteratur und Lexika und hielt sich dort über Jahrzehnte.

Deutlich präzisere Zahlen lieferten erst in den 1880er Jahren die französischen Forscher Müntz und Aubin mit einer neuen Messmethode. Diese lagen zwischen 2,88 und 4,22 pro 10 000. Laut dem US-Klimaforscher Charles David Keeling waren dies die vermutlich präzisesten CO2-Messungen des 19. Jahrhunderts. In Meyers 6. Auflage von 1903 war dann der CO2-Anteil aufgrund jüngerer Forschungsergebnisse mit 0,03 Prozent angegeben.

Auch danach entwickelte sich die Klimaforschung stetig weiter. Heute wird der CO2-Gehalt in der Luft in ppm angegeben, also «parts per million». Gemessen wird er seit 1958 durchgehend am hawaiianischen Vulkan Mauna Loa per Licht-Absorption mit einer Abweichung von maximal 0,2 ppm. Heute gibt es weltweit zahlreiche weitere Messpunkte.

Veranschaulicht werden die Daten vom Mauna Loa in der Keeling-Kurve, die abgesehen von saisonalen Schwankungen und unbrauchbaren Messwerten aufgrund vulkanischer Aktivität, permanent steigt. In diesem Frühjahr wurde die Marke von 420 ppm geknackt, ein Zuwachs von über 100 ppm seit Beginn der Aufzeichnungen.

Für die Berechnung der CO2-Konzentration vor 1958 wird auf Analysen von tief liegendem Eis in der Antarktis zurückgegriffen. Sie zeigen, dass sich die CO2-Konzentration zumindest in den vergangenen 800 000 Jahren innerhalb einer gewissen Schwankungsbreite praktisch kaum verändert hatte – bis zur Industrialisierung.

Laut dem deutschen Umweltbundesamt ist die «globale Konzentration von Kohlendioxid seit Beginn der Industrialisierung um gut 44 Prozent gestiegen.» Der Atmosphärenphysiker Martin Dameris vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt erklärte dem Bayerischen Rundfunk 2020: «Der exorbitante Anstieg der CO2-Konzentration ist nicht anders zu erklären als durch das Handeln der Menschen.»

Ein weiterer Anstieg der CO2-Konzentration im bisherigen Tempo hätte laut Yale School of Environment weitreichende Folgen: Die weltweite Durchschnittstemperatur würde demnach gegenüber vorindustrieller Zeit um mehr als drei Grad Celsius steigen, Wetterextreme häufiger werden und Migration aufgrund klimatischer Bedingungen weiter zunehmen.

(Stand: 16.9.2022)

Links

Facebook-Posting (archiviert

Fusion der beiden Verlage (archiviert

Der zitierte Text aus 1857 (archiviert

Frühere Ausgabe von 1944 (archiviert

Forschungspapier de Saussure (archiviert

Forschungspapier Hlasiwetz (archiviert

Analyseergebnisse de Saussure (archiviert

Brockhaus-Eintrag aus 1875 (archiviert

Forschungsergebnisse Müntz/Aubin (archiviert

Beschreibung der Methodik (archiviert

Biographie Keeling (archiviert

Keeling über das Verfahren (archiviert

Meyers-Eintrag von 1903 (nur archiviert) 

Aktuelle Messmethode (archiviert

Abweichung der Messergebnisse (archiviert

Weltweite Messstationen (archiviert

Keeling-Kurve (archiviert

Ursachen abweichender Ergebnisse (archiviert

Smithsonian Magazine zum neuen Rekord (archiviert

CO2-Konzentration seit 1958 (archiviert

CDIAC-Daten (archiviert)

Zeitleiste der vergangenen 800 000 Jahre (archiviert

Umweltbundesamt zu Treibhausgasen (archiviert

orf.at-Artikel zum Begriff «vorindustriell» (archiviert)

BR-«Faktenfuchs» zum Thema (archiviert)

Artikel Yale School of Environment (archiviert)

Über dpa-Faktenchecks

Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.

Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.

Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an factcheck-oesterreich@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.

Schon gewusst?

Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.