Tabelle gefälscht

Die britische Totgeburten-Rate liegt auf Vor-Pandemie-Niveau

15.07.2022, 16:41 (CEST)

Die Totgeburtenrate in Großbritannien stieg 2021 nur leicht an. Skeptiker wollen mit einer Statistik aus einem Londoner Spital einen sprunghaften Anstieg belegen. Doch deren Zahlen sind gefälscht.

Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen auf unser Leben müssen in Skeptikerkreisen als Grund für allerlei Schlechtes in der Welt herhalten. Online kursiert eine Statistik, die den angeblichen starken Anstieg bei Fehlgeburten an einer Londoner Klinik im Jahr 2021 belegen soll. Stimmen diese Zahlen und gibt es einen Zusammenhang mit der Impfung gegen Covid-19?

Bewertung

Die Statistik ist gefälscht. Zudem wird im begleitenden Text fälschlicherweise der Begriff Fehlgeburt verwendet. Tatsächlich gab es im Zusammenhang mit dem Coronavirus in den vergangenen Jahren weltweit mehr Totgeburten. Allerdings machte sich der Anstieg schon 2020 bemerkbar und betraf eher Niedriglohnländer. In Großbritannien lagen die Daten von 2021 auf dem Niveau der Jahre vor Ausbruch der Pandemie.

Fakten

In der Medizin wird grundsätzlich zwischen Fehlgeburten und Totgeburten unterschieden. In Österreich bestimmt darüber das Geburtsgewicht des Kindes. Liegt es über 500 Gramm, spricht man von einer Totgeburt, darunter von einer Fehlgeburt.

Der nationale Gesundheitsdienst Großbritanniens bezeichnet Geburten vor der 25. Schwangerschaftswoche als Fehlgeburten («miscarriage»). Kommt ein Baby nach diesem Zeitraum tot zur Welt, wird es als Totgeburt («stillbirth») bezeichnet. Die Statistik im Posting weist also die angeblichen Totgeburten im Londoner St. George’s University Hospital aus - und nicht, wie im Text dazu behauptet wird, die dort verzeichneten Fehlgeburten.

Das Dokument im Posting bezieht sich auf die Beantwortung einer Frage im Rahmen des Freedom of Information Act, demzufolge jeder Bürger Daten und Fakten zu öffentlichen Einrichtungen im Land erfragen kann.

Tatsächlich erreichte das Universitätsspital vor einiger Zeit eine Anfrage zur Anzahl der Totgeburten in den vergangenen Jahren. Das bestätigte die Pressestelle des St. George’s University Hospitals NHS Foundation Trust der Deutschen Presse-Agentur. Die Trägerorganisation des Krankenhauses beantwortete diese Frage damals. «Allerdings wurde dieses Dokument leider kopiert und mit falschen Zahlen bearbeitet», heißt es in der Beantwortung einer E-Mail-Anfrage. Diese Zahlen kursieren nun in den sozialen Medien. Und selbst wenn die Zahlen korrekt wären, könnte man aus einem Anstieg der Totgeburten in einem einzelnen Krankenhaus keinen landesweiten Trend ableiten.

Laut vorläufigen Zahlen der britischen Statistikbehörde stieg die Rate von Totgeburten pro Tausend Geburten im Land von 3,9 im Jahr 2020 auf 4,2 im Jahr 2021 an. Damit starben 2021 also pro 10 000 Geburten drei Babies mehr als im Jahr davor. Allerdings ist das nur eine Momentaufnahme: Der Geburtenstatistik in England und Wales im Jahr 2021 zufolge liegt die aktuelle Rate aus dem Jahr 2021 auf dem Niveau von 2018, in absoluten Zahlen war sie vergleichbar mit 2019.

Weltweit lässt sich seit dem Beginn der Corona-Pandemie Anfang 2020 sehr wohl ein Trend zu mehr Totgeburten beobachten. Bereits im Frühjahr 2021 wurden unter Führung der St. George’s University in London 40 Studien dazu ausgewertet, die ein einheitliches Bild zeigten: Ursächlich für die steigenden Zahlen sind demnach primär nicht Corona-Erkrankungen, sondern ein Rückgang in der vorgeburtlichen medizinischen Versorgung.

Werdende Mütter suchten seit 2020 seltener medizinische Hilfe, etwa aus Angst vor einer Corona-Infektion oder weil wegen eines Lockdowns keine öffentlichen Verkehrsmittel unterwegs waren. Komplikationen in der Schwangerschaft blieben seither viel öfter unbemerkt. Besonders betroffen waren Niedriglohnländer, wie etwa eine in Nepal durchgeführte schwedische Studie aufzeigt.

Einen gänzlich positiven Effekt auf Schwangerschaften hat hingegen die Impfung gegen Covid-19. Einer aktuellen Studie zufolge verringert sich für mit mRNA-Stoffen geimpfte Mütter das Risiko einer Totgeburt um rund 15 Prozent. Zudem berge die Impfung keinerlei sonstige Gefahren für werdende Mütter und ihre Ungeborenen.

(Stand: 15.7.2022)

Links

Beitrag auf Facebook (archiviert)

Fehlgeburt und Totgeburt in Österreich (archiviert)

Fehlgeburt und Totgeburt in Großbritannien (archiviert)

Der britische Freedom of Information Act 2000 (archiviert)

Informationen zur britischen Totgeburten-Rate 2021 (archiviert)

Auswertung Geburtenstatistik England und Wales 2021 (archiviert)

Studienanalyse der St. George’s University (archiviert)

Informationen zu weltweiten Studien zu Totgeburten (archiviert)

Studienergebnisse zu Covid-Impfungen während Schwangerschaft (archiviert)

Über dpa-Faktenchecks

Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.

Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.

Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an factcheck-oesterreich@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.

Schon gewusst?

Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.