Ramsay-Hunt-Syndrom

Ursache für Justin Biebers Gesichtslähmung unklar

17.6.2022, 18:07 (CEST), letztes Update: 17.6.2022, 21:42 (CEST)

Justin Biebers rechte Gesichtshälfte ist gelähmt. Impfkritiker wollen darin eine Nebenwirkung einer Impfung sehen. Doch die Zahlen, die das statistisch untermauern sollen, sind mit Vorsicht zu genießen.

Leiden Prominente an einer ungewöhnlichen oder seltenen Krankheit, sind die Impfkritiker nicht weit und wissen: Das muss ein Impfschaden sein! Aktuellstes Opfer ist Justin Bieber. Der kanadische Sänger leidet am Ramsay-Hunt-Syndrom (RHS). Trotz der dafür typischen Gesichtslähmung hält er seine Fans mit einem Instagram-Video am Laufenden. Der Blog tkp zitiert zum Thema einen Mathematiker, für den die Ursache zu 99 Prozent eine Covid-Impfung ist.

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Biebers Erkrankung nennt sich Herpes Zoster oticus. Das ist eine Gürtelrose, die den Hörnerv befällt und auch Gesichtslähmungen und schmerzhafte Bläschen auf der Haut verursachen kann. Für eine Impfnebenwirkung gibt es weder Beweise, noch gute Gründe. Die im Artikel genannten Zahlen wurden auf Basis unbrauchbarer Daten errechnet.

Fakten

Bei der Viruserkrankung Herpes Zoster entzünden sich Nerven. Sichtbar wird das oft durch schmerzhafte Bläschen auf der Haut. Bei Zoster oticus können zudem halbseitige Gesichtslähmungen dazukommen. Üblicherweise klingen vor allem die äußerlich sichtbaren Beschwerden laut Peter Franz, Generalsekretär der Österreichischen HNO-Gesellschaft, wieder ab. Allerdings können Probleme beim Hören bleiben.

Betroffen von allen Herpes-Zoster-Arten sind vor allem immungeschwächte Menschen mit Vorerkrankungen wie etwa Aids, aber auch ältere oder unter starkem Stress stehende Personen. Das die Erkrankung auslösende Varizella-Zoster-Virus (VZV) tragen rund 90 Prozent der erwachsenen Weltbevölkerung durch eine Windpocken-Erkrankung bis an ihr Lebensende in sich. Bei einer späteren Schwächung des Körpers kann das Virus zu jeder Zeit Nerven befallen.

Der kanadische Kardiologe und Epidemiologe Christopher Labos vermutet genau das als Ursache für Biebers aktuellen Zustand. Bieber selbst sprach im Instagram-Video davon, dass er in Zukunft kürzer treten müsse. Labos erklärte gegenüber dem kanadischen TV-Sender CBC, dass Biebers Corona-Erkrankung vor mittlerweile fast vier Monaten zu lange zurückliege, um die Ursache für dessen Zoster oticus sein zu können.

Könnte also eine Covid-19-Impfung die Beschwerden verursacht haben? Ob Bieber frisch geimpft wurde, ist nicht bekannt. Eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur an sein Management blieb unbeantwortet.

Allerdings empfiehlt derzeit weder ein Expertengremium, noch Biebers Heimatland Kanada eine neuerliche Booster-Impfung abseits von Risikopatienten und medizinischem Personal. Zudem ist eine neuerliche Impfung Biebers wenige Monate nach einer überstandenen Covid-Infektion unwahrscheinlich.

HNO-Experte Franz schloss eine Corona-Erkrankung oder auch eine Impfung gegen Covid-19 als Ursache für Biebers Zustand kategorisch aus. Es gibt zwar Studien zu Fazialisparesen in nahem Zeitabstand zu einer Covid-Impfung (eine davon wird auch im tkp-Artikel erwähnt), doch selbst deren Autoren warnen vor einem «Rückschluss auf einen kausalen Zusammenhang».

Die Zahlen im tkp-Artikel stammen von Steve Kirsch, einem US-Mathematiker, der sich als Impfgegner einen Namen gemacht hat. Bei seinen aktuellen Berechnungen greift er auf VAERS-Zahlen zurück. Das «Vaccine Adverse Event Reporting System» ist das US-Meldesystem für Impfnebenwirkungen. Jeder kann dort angeben, was nach einer Impfung mutmaßlich von dieser ausgelöst worden sein könnte.

Auf der Website des VAERS wird darauf hingewiesen, dass die gemeldeten Nebenwirkungen keinen Kausalzusammenhang mit einer Impfung haben müssen. Die Zahlen seien daher mit Vorsicht zu genießen. Das hinderte Kirsch nicht daran, seine Berechnungen auf Basis von VAERS-Daten, die bis ins Jahr 1990 zurückreichen, durchzuführen.

Diese Daten vergleicht Kirsch mit gesicherten Werten zur Inzidenz von RHS und kommt so auf die von ihm propagierten 99 Prozent Wahrscheinlichkeit für eine Covid-Impfung als Ursache für Biebers gesundheitliche Probleme. Dabei lässt er etwa außer Acht, dass durch die mediale Berichterstattung seit 2021 um ein Vielfaches mehr Privatpersonen Impfnebenwirkungen melden als zuvor. Der Begriff ist zudem weit gefasst, so wurden im Vorjahr etwa «Weinen» und «Haarausfall» ungleich öfter angegeben als Zoster oticus.

Der im Artikel namentlich nicht genannte Mediziner ist der Augenarzt und Ivermectin-Befürworter Neil Chesen. Doch das Wurmmittel ist im Kampf gegen Corona umstritten. Selbst der Hersteller spricht sich gegen eine Einnahme aus.

Chesen twitterte vor wenigen Tagen, dass er bis zu einer auffälligen Häufung in letzter Zeit in 32 Berufsjahren keinerlei Fälle von Zoster oticus gesehen haben will. Das hält HNO-Professor Franz für äußerst unglaubwürdig. Die Krankheit sei zwar selten, auf großen HNO-Stationen gebe es dennoch «mehrere Fälle pro Jahr» – und seit wenigen Tagen einen sehr prominenten mehr.

(Stand: 15.6.2022)

Links

Biebers Instagram-Video (archiviert)

tkp-Artikel mit Behauptungen (archiviert)

Informationen zu Herpes Zoster (archiviert)

Symptome Gesichtslähmung (archiviert)

Vorstand der Österreichischen HNO-Gesellschaft (archiviert)

Zoster oticus und mögliche Komplikationen (archiviert)

Dr. Christopher Labos (archiviert)

Interview auf YouTube (archiviert)

Kurier-Artikel zu Biebers Corona-Erkrankung (archiviert)

Johns-Hopkins-Universität zu neuerlichen Boosterimpfungen (archiviert)

Zweite Booster-Impfung in Kanada (archiviert)

Linksammlung zu Studien zum Thema (archiviert)

Fazialisparesen nach Covid-Impfungen (archiviert)

PDF-Dokument zur Studie (archiviert)

AFP-Faktencheck zu Kirsch (archiviert)

Kirschs Newsletter zum Thema Bieber (archiviert)

VAERS-Interpretationsleitfaden (archiviert)

Studie zur Inzidenz von RHS (archiviert)

Liste aller VAERS-Datensätze (archiviert)

Ivermectin-Tweet von Chesen (archiviert)

dpa-Faktencheck zu Ivermectin

RHS-Tweet von Chesen (archiviert)

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