50 Schilling reichten nicht mal für 10 Liter Kraftstoff

26.04.2022, 13:01 (CEST)

Auch zwanzig Jahre nach der Umstellung auf den Euro weinen Menschen noch dem österreichischen Schilling nach. Alles wurde rapide teurer, seit der Euro eingeführt wurde, wird da oft behauptet. Ein Sharepic auf Facebook soll veranschaulichen, was man mit wenigen Schilling-Scheinen alles bezahlen konnte: Von Lebensmitteln über Treibstoff bis hin zu Mieten und Feiern (archiviert).

Bewertung

Die Wahrnehmung, dass im Lauf der Zeit alles teurer wurde, stimmt nur bedingt. Während einige Produktgruppen des täglichen Bedarfs sich in Relation zum Einkommen verteuerten, sanken die Preise für andere Produkte wiederum. Die Behauptung aus dem Sharepic ist damit teils klar widerlegbar, teilweise wäre sie nur mit einem extrem sparsamen Lebensstil und einer überaus günstigen Wohnsituation umsetzbar.

Fakten

Im Sharepic zu sehen sind fünf Behauptungen.

Behauptung eins: Um 50 Schilling volltanken

Zu sehen ist eine 50-Schilling-Banknote, die den Psychoanalytiker Sigmund Freud zeigt und am 19. Oktober 1987 erstmals ausgegeben wurde. Laut einem Dokument des Autofahrerklubs ÖAMTC betrug der Jahresdurchschnittspreis für Benzin 1987 um die 9 Schilling, für Diesel 8 Schilling.

Im seit Ausgabe des Geldscheins günstigsten Jahr, 1988, kam ein Liter Benzin auf 8,50 Schilling, Diesel auf 7,70 Schilling. Selbst im günstigsten Fall hätte man um 50 Schilling um die 6,5 Liter Treibstoff bekommen – das hätte gerade einmal gereicht, um den Tank eines Mopeds zu füllen.

Behauptung zwei: Um 500 Schilling im Monat wohnen

Die abgebildete Banknote ist die jüngste im Sharepic. Sie zeigt die Frauenrechtlerin Rosa Mayreder und wurde am 20. Oktober 1987 erstmals ausgegeben. Der durchschnittliche Wohnungsaufwand in Österreich betrug laut Zahlen des Österreichischen Statistischen Zentralamtes (Östat, heute Statistik Austria) von März 1998 exakt 58 Schilling pro Quadratmeter Nutzfläche. Der Wiener Richtwert-Mietzins betrug damals 53,90 Schilling.

Selbst der geringste Wohnungsaufwand, bei vor 1944 errichteten Altbauten, lag bei 49,70 Schilling pro Quadratmeter. Um 500 Schilling hätte man 1997 also bestenfalls gerade einmal etwas mehr als 10 Quadratmeter mieten können.

Einzig der sogenannte «Friedenszins», der heute nur noch für einige wenige Tausend Altverträge gilt, ist noch niedriger. Seine Mieten lagen 2017 bei zwei bis drei Euro pro Quadratmeter. Laut Kronen Zeitung liegt er aktuell fallweise bei 90 Cent netto pro Quadratmeter – damit käme man heute mit 500 Schilling tatsächlich auf etwa 40 Quadratmeter Wohnfläche (1 Euro = 13,7603 Schilling).

Ähnlich verhält es sich mit Substandardwohnungen der Kategorie «D unbrauchbar», die derzeit – exklusive Betriebskosten und Umsatzsteuer – auf 95 Cent pro Quadratmeter kommen. Diese Wohnungen verfügen allerdings über keine Wasserentnahmestelle oder kein WC im Inneren.

Behauptung drei: Monatseinkauf um 100 Schilling

Die dritte Banknote ist ein 100-Schilling-Schein aus der Serie 1983, erstmals ausgegeben am 14. Oktober 1985. Sie zeigt den Ökonomen Eugen Böhm von Bawerk. Mit dem Verbraucherpreisindex von 1986 als Basis von 100 Prozent kostet heute alles 2,17-mal so viel wie zur Zeit der Erstausgabe der Banknote. Ein Einkauf von 100 Schilling wäre heute also einem Einkauf von 217,10 Schilling gleichzusetzen, das sind 15,77 Euro - also nur etwas mehr als 50 Cent pro Tag.

Einem Dokument der WKO zufolge lag der durchschnittliche Netto-Monatslohn von Arbeitnehmern 1985 bei 1 030 Euro, bis 2020 stieg er auf 2 780 Euro. Nimmt man auch hier den Wert 2,171 als Multiplikator, käme man auf 2 236 Euro. Die durchschnittlichen Löhne stiegen demnach also stärker an als die Verbrauchskosten.

Auch ein von der Stadt Innsbruck veröffentlichter historischer Preisvergleich von Waren des täglichen Bedarfs zeigt, dass einzelne Produkte wie Brot oder Reis zwar deutlich teurer wurden, andere wie Milch, Butter, Mehl oder Fleisch gemessen an der Kaufkraft heute hingegen günstiger sind als damals.

Behauptung vier: Party machen um 20 Schilling

Die kleinste der Schilling-Banknoten zeigte ab 19. Oktober 1988 den Maler Moritz Daffinger. Einer dieser Scheine hätte heute den Gegenwert von etwa 1,50 Euro.

Stellvertretend für «Party machen» sei der Bierpreis erwähnt: Bier im Supermarkt hat sich preislich kaum verändert. Laut Statistik Austria kostete eine Flasche Bier 1988 im Handel durchschnittlich 7,50 Schilling – das sind heute 55 Cent. Um 20 Schilling konnte man also drei Flaschen Bier kaufen.

In der Gastronomie waren die Getränkepreise auch damals deutlich höher. Auf dem Münchner Oktoberfest wäre man 1988 mit 20 Schilling nicht weit gekommen. Eine Maß Bier kostete damals bereits mindestens 6,60 Deutsche Mark, also umgerechnet 47 Schilling.

Behauptung fünf: Was am Monatsende übrig bleibt

Hätte man also jede der Banknoten aus dem Sharepic exakt einmal pro Monat ausgegeben, käme man auf 670 Schilling. Bei einem Durchschnittseinkommen von rund 14 000 Schilling wären am Ende des Monats tatsächlich viele der abgebildeten «Hunderter» übrig geblieben. Doch die Berechnungen sind allesamt unrealistisch.

(Stand: 25.4.2022)

Links

Posting auf Facebook (archiviert)

Wechselkurs Schilling-Euro (archiviert)

Banknoten der vorletzten Schilling-Serie (archiviert)

Banknoten der letzten Schilling-Serie (archiviert)

Richtwert-Mietzins seit 1994 (archiviert)

Informationen zum Friedenszins (archiviert)

Artikel «Kronen Zeitung» (archiviert)

Informationen zu Wohnkosten bei Wiener Wohnen (archiviert)

Informationen zum Mietzins beim ÖVI (archiviert)

VPI-Anstieg seit 1986 (archiviert)

WKO-Dokument zu Monatseinkommen (archiviert)

Preisvergleich von Waren in Innsbruck (archiviert)

Artikel «OÖN» (archiviert)

Oktoberfest-Bierpreisstatistik (archiviert)

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